Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.9. Die Mücke, wenn sie dächt' und spräch', o Mensch, wie du; Dem Höchsten legte sie wol ihre Flügel zu: "Wie sollte seinem Bild mein Schöpfer mir nicht gleichen? Dem, was er schuf, wird er nicht an Vollendung weichen. Drum mückenähnlich, nur vollkommner wird er seyn; Wie wär' er Gott, wenn er nicht hätte Flügelein?" 10. Zur Gotterkentnis sind die Thiere nicht erschaffen, Du unterscheidest dich durch sie, o Mensch, vom Affen. Ohne sie stehst du nicht mit ihm auf gleichen Stufen, Sondern auf niederern, weil höhern zuberufen. Denn Trank und Speis' und Schlaf und sinnliche Begier, Die völlig ihm genügt, genügt nie völlig dir. Du hältst ein Höheres dir im Bewußtsein vor, Und bist nicht du, wo du nicht ewig ringst empor. 9. Die Muͤcke, wenn ſie daͤcht' und ſpraͤch', o Menſch, wie du; Dem Hoͤchſten legte ſie wol ihre Fluͤgel zu: „Wie ſollte ſeinem Bild mein Schoͤpfer mir nicht gleichen? Dem, was er ſchuf, wird er nicht an Vollendung weichen. Drum muͤckenaͤhnlich, nur vollkommner wird er ſeyn; Wie waͤr' er Gott, wenn er nicht haͤtte Fluͤgelein?“ 10. Zur Gotterkentnis ſind die Thiere nicht erſchaffen, Du unterſcheideſt dich durch ſie, o Menſch, vom Affen. Ohne ſie ſtehſt du nicht mit ihm auf gleichen Stufen, Sondern auf niederern, weil hoͤhern zuberufen. Denn Trank und Speiſ' und Schlaf und ſinnliche Begier, Die voͤllig ihm genuͤgt, genuͤgt nie voͤllig dir. Du haͤltſt ein Hoͤheres dir im Bewußtſein vor, Und biſt nicht du, wo du nicht ewig ringſt empor. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0122" n="112"/> <div n="2"> <head>9.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Muͤcke, wenn ſie daͤcht' und ſpraͤch', o Menſch, wie du;</l><lb/> <l>Dem Hoͤchſten legte ſie wol ihre Fluͤgel zu:</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>„Wie ſollte ſeinem Bild mein Schoͤpfer mir nicht gleichen?</l><lb/> <l>Dem, was er ſchuf, wird er nicht an Vollendung weichen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Drum muͤckenaͤhnlich, nur vollkommner wird er ſeyn;</l><lb/> <l>Wie waͤr' er Gott, wenn er nicht haͤtte Fluͤgelein?“</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>10.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Zur Gotterkentnis ſind die Thiere nicht erſchaffen,</l><lb/> <l>Du unterſcheideſt dich durch ſie, o Menſch, vom Affen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ohne ſie ſtehſt du nicht mit ihm auf gleichen Stufen,</l><lb/> <l>Sondern auf niederern, weil hoͤhern zuberufen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Denn Trank und Speiſ' und Schlaf und ſinnliche Begier,</l><lb/> <l>Die voͤllig ihm genuͤgt, genuͤgt nie voͤllig dir.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Du haͤltſt ein Hoͤheres dir im Bewußtſein vor,</l><lb/> <l>Und biſt nicht du, wo du nicht ewig ringſt empor.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [112/0122]
9.
Die Muͤcke, wenn ſie daͤcht' und ſpraͤch', o Menſch, wie du;
Dem Hoͤchſten legte ſie wol ihre Fluͤgel zu:
„Wie ſollte ſeinem Bild mein Schoͤpfer mir nicht gleichen?
Dem, was er ſchuf, wird er nicht an Vollendung weichen.
Drum muͤckenaͤhnlich, nur vollkommner wird er ſeyn;
Wie waͤr' er Gott, wenn er nicht haͤtte Fluͤgelein?“
10.
Zur Gotterkentnis ſind die Thiere nicht erſchaffen,
Du unterſcheideſt dich durch ſie, o Menſch, vom Affen.
Ohne ſie ſtehſt du nicht mit ihm auf gleichen Stufen,
Sondern auf niederern, weil hoͤhern zuberufen.
Denn Trank und Speiſ' und Schlaf und ſinnliche Begier,
Die voͤllig ihm genuͤgt, genuͤgt nie voͤllig dir.
Du haͤltſt ein Hoͤheres dir im Bewußtſein vor,
Und biſt nicht du, wo du nicht ewig ringſt empor.
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