Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.52. Wer sich vorm Andern schämt, fühlt sich vor ihm gelähmt; Doch sich gekräftigt fühlt, wer vor sich selbst sich schämt. Wenn deinem Bilde leiht ein Maler schönern Schein, Beschämt dich das Gefühl, daß du nicht so kannst seyn. Doch wenn ins Schönre dich dein innrer Maler malt, Spornt dichs, zu stralen selbst, wie jetzt dein Bild nur stralt. 53. Ein Wunder ist die Welt, das nie wird ausgewundert, Das niederschlägt den Geist und wieder ihn ermuntert. Daniederschlägt den Geist vorm ew'gen Stoff ein Bangen, Und stets ermunterts ihn den Kampf neu anzufangen. Ob du benennen willst das Viele, Einzle, Kleine? Ob du erkennen willst das Große, Ganze, Eine? 52. Wer ſich vorm Andern ſchaͤmt, fuͤhlt ſich vor ihm gelaͤhmt; Doch ſich gekraͤftigt fuͤhlt, wer vor ſich ſelbſt ſich ſchaͤmt. Wenn deinem Bilde leiht ein Maler ſchoͤnern Schein, Beſchaͤmt dich das Gefuͤhl, daß du nicht ſo kannſt ſeyn. Doch wenn ins Schoͤnre dich dein innrer Maler malt, Spornt dichs, zu ſtralen ſelbſt, wie jetzt dein Bild nur ſtralt. 53. Ein Wunder iſt die Welt, das nie wird ausgewundert, Das niederſchlaͤgt den Geiſt und wieder ihn ermuntert. Daniederſchlaͤgt den Geiſt vorm ew'gen Stoff ein Bangen, Und ſtets ermunterts ihn den Kampf neu anzufangen. Ob du benennen willſt das Viele, Einzle, Kleine? Ob du erkennen willſt das Große, Ganze, Eine? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0054" n="44"/> <div n="2"> <head>52.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wer ſich vorm Andern ſchaͤmt, fuͤhlt ſich vor ihm gelaͤhmt;</l><lb/> <l>Doch ſich gekraͤftigt fuͤhlt, wer vor ſich ſelbſt ſich ſchaͤmt.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wenn deinem Bilde leiht ein Maler ſchoͤnern Schein,</l><lb/> <l>Beſchaͤmt dich das Gefuͤhl, daß du nicht ſo kannſt ſeyn.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Doch wenn ins Schoͤnre dich dein innrer Maler malt,</l><lb/> <l>Spornt dichs, zu ſtralen ſelbſt, wie jetzt dein Bild nur ſtralt.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>53.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ein Wunder iſt die Welt, das nie wird ausgewundert,</l><lb/> <l>Das niederſchlaͤgt den Geiſt und wieder ihn ermuntert.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Daniederſchlaͤgt den Geiſt vorm ew'gen Stoff ein Bangen,</l><lb/> <l>Und ſtets ermunterts ihn den Kampf neu anzufangen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ob du benennen willſt das Viele, Einzle, Kleine?</l><lb/> <l>Ob du erkennen willſt das Große, Ganze, Eine?</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0054]
52.
Wer ſich vorm Andern ſchaͤmt, fuͤhlt ſich vor ihm gelaͤhmt;
Doch ſich gekraͤftigt fuͤhlt, wer vor ſich ſelbſt ſich ſchaͤmt.
Wenn deinem Bilde leiht ein Maler ſchoͤnern Schein,
Beſchaͤmt dich das Gefuͤhl, daß du nicht ſo kannſt ſeyn.
Doch wenn ins Schoͤnre dich dein innrer Maler malt,
Spornt dichs, zu ſtralen ſelbſt, wie jetzt dein Bild nur ſtralt.
53.
Ein Wunder iſt die Welt, das nie wird ausgewundert,
Das niederſchlaͤgt den Geiſt und wieder ihn ermuntert.
Daniederſchlaͤgt den Geiſt vorm ew'gen Stoff ein Bangen,
Und ſtets ermunterts ihn den Kampf neu anzufangen.
Ob du benennen willſt das Viele, Einzle, Kleine?
Ob du erkennen willſt das Große, Ganze, Eine?
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