Besonders zierlich sieht der Längsschnitt einer männlichen Blüthen- knospe der Zitterpappel (V. 4.) aus, wobei man findet, daß alle die Hun- derte von Staubbeuteln darin bereits vorgebildet sind, welche sich später an dem daraus gewordenen fingerlangen Kätzchen finden.
Die drei anderen Figuren des nebenstehenden Holzschnittes sind die durch die Knospenaxe (*) geführten Längsschnitte der Kiefer (V. 1.), der Trauben- kirsche, Prunus Padus (V. 2.), und der Eiche (V. 3.). Aus der Kiefern- knospe würde sich ein männlicher Blüthensproß entwickelt haben. Die Knospenaxe ist hier besonders lang und es gehen von ihr bereits Ab- zweigungen in die Blüthenkätzchen über. Unten links daneben steht eine Laubknospe. Ein sehr kurzer Kegel ist die Knospenaxe bei der Esche, wie wir an Fig. III. 2. (S. 60) in der gespaltenen Endknospe sehen.
Am ansehnlichsten sieht man diese Knospenaxe bei der Kiefer während des Winters. Um eine Kiefernknospe zu durchschneiden muß man das Messer immer mit Weingeist benetzt erhalten, weil sonst das Harz, welches der Weingeist auflöst, den Schnitt hindert.
Gerade bei der Kiefer ist es sehr anzurathen, zunächst einige noch ruhende Knospen im Innern zu untersuchen und dann im Frühjahr die nach einander folgenden Stufen der allmäligen Entwicklung an einer jungen, üppig wachsenden Kiefer zu verfolgen. Ueberhaupt gewährt es einen sehr lehrreichen Genuß, zur Zeit der Knospenentfaltung den Wald fleißig zu besuchen und dabei besonders bestimmt angemerkte Knospen im Auge zu behalten. Das erste Nahen des erwachten Frühlingslebens giebt sich da- durch kund, daß die auseinander geschobenen Schuppen sich an den ent- blößten Stellen heller gefärbt zeigen.
Der Jahrestrieb*).
Nachdem wir in der Knospe den Winterzustand des nächstjährigen Triebes kennen gelernt haben, müssen wir nun die Bekanntschaft des vor- jährigen, eben vollendeten Triebes im Winterzustande machen, um dadurch ein Verständniß der äußeren Gliederung des Kronenzuwachses des Baumes zu gewinnen.
*) Wir brauchen hier den allgemeiner angewendeten Ausdruck Trieb, während na- mentlich in neuerer Zeit die Wissenschaft lieber Sproß sagt. Beide Wörter sind hier vollkommen gleichbedeutend.
Beſonders zierlich ſieht der Längsſchnitt einer männlichen Blüthen- knospe der Zitterpappel (V. 4.) aus, wobei man findet, daß alle die Hun- derte von Staubbeuteln darin bereits vorgebildet ſind, welche ſich ſpäter an dem daraus gewordenen fingerlangen Kätzchen finden.
Die drei anderen Figuren des nebenſtehenden Holzſchnittes ſind die durch die Knospenaxe (*) geführten Längsſchnitte der Kiefer (V. 1.), der Trauben- kirſche, Prunus Padus (V. 2.), und der Eiche (V. 3.). Aus der Kiefern- knospe würde ſich ein männlicher Blüthenſproß entwickelt haben. Die Knospenaxe iſt hier beſonders lang und es gehen von ihr bereits Ab- zweigungen in die Blüthenkätzchen über. Unten links daneben ſteht eine Laubknospe. Ein ſehr kurzer Kegel iſt die Knospenaxe bei der Eſche, wie wir an Fig. III. 2. (S. 60) in der geſpaltenen Endknospe ſehen.
Am anſehnlichſten ſieht man dieſe Knospenaxe bei der Kiefer während des Winters. Um eine Kiefernknospe zu durchſchneiden muß man das Meſſer immer mit Weingeiſt benetzt erhalten, weil ſonſt das Harz, welches der Weingeiſt auflöſt, den Schnitt hindert.
Gerade bei der Kiefer iſt es ſehr anzurathen, zunächſt einige noch ruhende Knospen im Innern zu unterſuchen und dann im Frühjahr die nach einander folgenden Stufen der allmäligen Entwicklung an einer jungen, üppig wachſenden Kiefer zu verfolgen. Ueberhaupt gewährt es einen ſehr lehrreichen Genuß, zur Zeit der Knospenentfaltung den Wald fleißig zu beſuchen und dabei beſonders beſtimmt angemerkte Knospen im Auge zu behalten. Das erſte Nahen des erwachten Frühlingslebens giebt ſich da- durch kund, daß die auseinander geſchobenen Schuppen ſich an den ent- blößten Stellen heller gefärbt zeigen.
Der Jahrestrieb*).
Nachdem wir in der Knospe den Winterzuſtand des nächſtjährigen Triebes kennen gelernt haben, müſſen wir nun die Bekanntſchaft des vor- jährigen, eben vollendeten Triebes im Winterzuſtande machen, um dadurch ein Verſtändniß der äußeren Gliederung des Kronenzuwachſes des Baumes zu gewinnen.
*) Wir brauchen hier den allgemeiner angewendeten Ausdruck Trieb, während na- mentlich in neuerer Zeit die Wiſſenſchaft lieber Sproß ſagt. Beide Wörter ſind hier vollkommen gleichbedeutend.
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derte von Staubbeuteln darin bereits vorgebildet ſind, welche ſich ſpäter
an dem daraus gewordenen fingerlangen Kätzchen finden.
Die drei anderen Figuren des nebenſtehenden Holzſchnittes ſind die durch
die Knospenaxe (*) geführten Längsſchnitte der Kiefer (V. 1.), der Trauben-
kirſche, Prunus Padus (V. 2.), und der Eiche (V. 3.). Aus der Kiefern-
knospe würde ſich ein männlicher Blüthenſproß entwickelt haben. Die
Knospenaxe iſt hier beſonders lang und es gehen von ihr bereits Ab-
zweigungen in die Blüthenkätzchen über. Unten links daneben ſteht eine
Laubknospe. Ein ſehr kurzer Kegel iſt die Knospenaxe bei der Eſche, wie
wir an Fig. III. 2. (S. 60) in der geſpaltenen Endknospe ſehen.
Am anſehnlichſten ſieht man dieſe Knospenaxe bei der Kiefer während
des Winters. Um eine Kiefernknospe zu durchſchneiden muß man das
Meſſer immer mit Weingeiſt benetzt erhalten, weil ſonſt das Harz, welches
der Weingeiſt auflöſt, den Schnitt hindert.
Gerade bei der Kiefer iſt es ſehr anzurathen, zunächſt einige noch
ruhende Knospen im Innern zu unterſuchen und dann im Frühjahr die nach
einander folgenden Stufen der allmäligen Entwicklung an einer jungen,
üppig wachſenden Kiefer zu verfolgen. Ueberhaupt gewährt es einen ſehr
lehrreichen Genuß, zur Zeit der Knospenentfaltung den Wald fleißig zu
beſuchen und dabei beſonders beſtimmt angemerkte Knospen im Auge zu
behalten. Das erſte Nahen des erwachten Frühlingslebens giebt ſich da-
durch kund, daß die auseinander geſchobenen Schuppen ſich an den ent-
blößten Stellen heller gefärbt zeigen.
Der Jahrestrieb *).
Nachdem wir in der Knospe den Winterzuſtand des nächſtjährigen
Triebes kennen gelernt haben, müſſen wir nun die Bekanntſchaft des vor-
jährigen, eben vollendeten Triebes im Winterzuſtande machen, um dadurch
ein Verſtändniß der äußeren Gliederung des Kronenzuwachſes des Baumes
zu gewinnen.
*) Wir brauchen hier den allgemeiner angewendeten Ausdruck Trieb, während na-
mentlich in neuerer Zeit die Wiſſenſchaft lieber Sproß ſagt. Beide Wörter ſind hier
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/92>, abgerufen am 03.12.2024.
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