Das Häßliche ist keine bloße Abwesenheit des Schönen, sondern eine positive Negation desselben. Was seinem Be¬ griff nach nicht unter die Kategorie des Schönen fällt, das kann auch nicht unter die des Häßlichen subsumirt werden. Ein Rechenexempel ist nicht schön, aber auch nicht häßlich; ein mathematischer Punct, der gar keine Länge und Breite hat, ist nicht schön, aber auch nicht häßlich; eben so ein abstracter Gedanke u. s. w. Weil das Häßliche das Schöne positiv negirt, so ist es nicht blos als ein Uebergewicht des Sinnlichen über das Geistige zu nehmen, wie manche Aesthe¬ tiker es kurzsichtig definiren, denn das Sinnliche als solches ist doch das Natürliche und das Natürliche, wie wir früher gesehen haben, ist zwar seinem Begriff nach nicht noth¬ wendig schön, da es vor allen Dingen zweckmäßig zu sein strebt und seiner teleologischen Einheit die ästhetische Form unterordnet; allein eben so wenig ist es auch, seinem Be¬ griff nach, nothwendig häßlich; vielmehr kann es, ohne seinem Begriff zu widersprechen, auch schön sein, wie selbst die unorganische Natur in ihrer elementarischen Gestal¬ tung zeigt. Wie schön kann ein Berg, ein Fels, See, Strom, ein Wasserfall, eine Wolke sein! Wäre der Satz richtig, daß das Sinnliche das Princip der Häßlichkeit ausmache, so würde das nur Natürliche häßlich sein müssen. --
Dritter Abſchnitt.
Die Defiguration oder die Verbildung.
Das Häßliche iſt keine bloße Abweſenheit des Schönen, ſondern eine poſitive Negation deſſelben. Was ſeinem Be¬ griff nach nicht unter die Kategorie des Schönen fällt, das kann auch nicht unter die des Häßlichen ſubſumirt werden. Ein Rechenexempel iſt nicht ſchön, aber auch nicht häßlich; ein mathematiſcher Punct, der gar keine Länge und Breite hat, iſt nicht ſchön, aber auch nicht häßlich; eben ſo ein abſtracter Gedanke u. ſ. w. Weil das Häßliche das Schöne poſitiv negirt, ſo iſt es nicht blos als ein Uebergewicht des Sinnlichen über das Geiſtige zu nehmen, wie manche Aeſthe¬ tiker es kurzſichtig definiren, denn das Sinnliche als ſolches iſt doch das Natürliche und das Natürliche, wie wir früher geſehen haben, iſt zwar ſeinem Begriff nach nicht noth¬ wendig ſchön, da es vor allen Dingen zweckmäßig zu ſein ſtrebt und ſeiner teleologiſchen Einheit die äſthetiſche Form unterordnet; allein eben ſo wenig iſt es auch, ſeinem Be¬ griff nach, nothwendig häßlich; vielmehr kann es, ohne ſeinem Begriff zu widerſprechen, auch ſchön ſein, wie ſelbſt die unorganiſche Natur in ihrer elementariſchen Geſtal¬ tung zeigt. Wie ſchön kann ein Berg, ein Fels, See, Strom, ein Waſſerfall, eine Wolke ſein! Wäre der Satz richtig, daß das Sinnliche das Princip der Häßlichkeit ausmache, ſo würde das nur Natürliche häßlich ſein müſſen. —
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Dritter Abſchnitt.
Die Defiguration oder die Verbildung.
Das Häßliche iſt keine bloße Abweſenheit des Schönen,
ſondern eine poſitive Negation deſſelben. Was ſeinem Be¬
griff nach nicht unter die Kategorie des Schönen fällt, das
kann auch nicht unter die des Häßlichen ſubſumirt werden.
Ein Rechenexempel iſt nicht ſchön, aber auch nicht häßlich;
ein mathematiſcher Punct, der gar keine Länge und Breite
hat, iſt nicht ſchön, aber auch nicht häßlich; eben ſo ein
abſtracter Gedanke u. ſ. w. Weil das Häßliche das Schöne
poſitiv negirt, ſo iſt es nicht blos als ein Uebergewicht des
Sinnlichen über das Geiſtige zu nehmen, wie manche Aeſthe¬
tiker es kurzſichtig definiren, denn das Sinnliche als ſolches
iſt doch das Natürliche und das Natürliche, wie wir früher
geſehen haben, iſt zwar ſeinem Begriff nach nicht noth¬
wendig ſchön, da es vor allen Dingen zweckmäßig zu ſein
ſtrebt und ſeiner teleologiſchen Einheit die äſthetiſche Form
unterordnet; allein eben ſo wenig iſt es auch, ſeinem Be¬
griff nach, nothwendig häßlich; vielmehr kann es, ohne
ſeinem Begriff zu widerſprechen, auch ſchön ſein, wie
ſelbſt die unorganiſche Natur in ihrer elementariſchen Geſtal¬
tung zeigt. Wie ſchön kann ein Berg, ein Fels, See,
Strom, ein Waſſerfall, eine Wolke ſein! Wäre der Satz
richtig, daß das Sinnliche das Princip der Häßlichkeit
ausmache, ſo würde das nur Natürliche häßlich ſein müſſen. —
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/186>, abgerufen am 19.11.2024.
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