Weisheit und Tugend im menschlichen Geiste, erreicht werden, soweit dies dem vereinzelt abgerissenen Bruchstück der Gott- heit 1) überhaupt möglich ist.
Die Tugend aber ist sich selbst genug zur Erringung der Glückseligkeit, und dieser Glückseligkeit wird durch Kürze ihrer Dauer nichts abgebrochen, durch längere Dauer nichts zu- gesetzt 2). Es ist nichts in stoischer Lehre, was den Menschen, den Weisen, auf Vollendung seines Wesens und seiner Auf- gaben in einem Leben ausserhalb des Leibes und des irdischen Pflichtenbereiches hinwiese.
4.
Der nicht aus dem innersten Kern stoischer Lehre er- wachsene, bedingte Unsterblichkeitsglaube kam ins Wanken, als auch die starre Dogmatik dieser Schule dem Schicksale erlag, in allzu naher Berührung mit der Kritik und den Lehrbehaup- tungen anderer Schulen an ihrer Alleingiltigkeit irre zu werden. Die streng gezogenen Grenzlinien der Sectenlehren wurden flüssig, hin und her fand ein Austausch, fast eine Ausgleichung statt. Panaetius, der erste Schriftsteller unter den stoischen Schulpedanten, auf weitere Wirkung seiner Schriften bedacht, der Lehrer und Freund namentlich jener edelsten Römer seiner Zeit, denen griechische Philosophie den Keim einer Humanität ins Herz pflanzte, die Roms harter Boden aus sich nicht her- vorbringen konnte, stand in mehr als einem Punkte von der Rechtgläubigkeit altstoischer Lehre ab. Die Menschenseele ist ihm aus zwei Elementen gestaltet 3); sie ist nicht einheitlich,
1) apospasma tou theou.
2) Oft wiederholtes stoisches Dogma (ausgeführt besonders bei Seneca epist. 93). S. Gataker zu M. Aurel. (3, 7) p. 108. 109. Es be- darf für die Glückseligkeit der (stoischen) Weisen nicht eines mekos biou teleiou, wie Aristoteles (s. oben p. 599 Anm.) meinte. Uebrigens stimmt hier die Meinung der Stoa, dass es magni artificis est clusisse totum in exiguo; tantum sapienti sua, quantum deo omnis aetas patet (Seneca epist. 53, 11) völlig überein mit der des Epikur. S. unten p. 624, 7.
3)duo genera in der Seele nach Panaetius, der diese als inflammata
Weisheit und Tugend im menschlichen Geiste, erreicht werden, soweit dies dem vereinzelt abgerissenen Bruchstück der Gott- heit 1) überhaupt möglich ist.
Die Tugend aber ist sich selbst genug zur Erringung der Glückseligkeit, und dieser Glückseligkeit wird durch Kürze ihrer Dauer nichts abgebrochen, durch längere Dauer nichts zu- gesetzt 2). Es ist nichts in stoischer Lehre, was den Menschen, den Weisen, auf Vollendung seines Wesens und seiner Auf- gaben in einem Leben ausserhalb des Leibes und des irdischen Pflichtenbereiches hinwiese.
4.
Der nicht aus dem innersten Kern stoischer Lehre er- wachsene, bedingte Unsterblichkeitsglaube kam ins Wanken, als auch die starre Dogmatik dieser Schule dem Schicksale erlag, in allzu naher Berührung mit der Kritik und den Lehrbehaup- tungen anderer Schulen an ihrer Alleingiltigkeit irre zu werden. Die streng gezogenen Grenzlinien der Sectenlehren wurden flüssig, hin und her fand ein Austausch, fast eine Ausgleichung statt. Panaetius, der erste Schriftsteller unter den stoischen Schulpedanten, auf weitere Wirkung seiner Schriften bedacht, der Lehrer und Freund namentlich jener edelsten Römer seiner Zeit, denen griechische Philosophie den Keim einer Humanität ins Herz pflanzte, die Roms harter Boden aus sich nicht her- vorbringen konnte, stand in mehr als einem Punkte von der Rechtgläubigkeit altstoischer Lehre ab. Die Menschenseele ist ihm aus zwei Elementen gestaltet 3); sie ist nicht einheitlich,
1) ἀπόσπασμα τοῦ ϑεοῦ.
2) Oft wiederholtes stoisches Dogma (ausgeführt besonders bei Seneca epist. 93). S. Gataker zu M. Aurel. (3, 7) p. 108. 109. Es be- darf für die Glückseligkeit der (stoischen) Weisen nicht eines μῆκος βίου τελείου, wie Aristoteles (s. oben p. 599 Anm.) meinte. Uebrigens stimmt hier die Meinung der Stoa, dass es magni artificis est clusisse totum in exiguo; tantum sapienti sua, quantum deo omnis aetas patet (Seneca epist. 53, 11) völlig überein mit der des Epikur. S. unten p. 624, 7.
3)duo genera in der Seele nach Panaetius, der diese als inflammata
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Weisheit und Tugend im menschlichen Geiste, erreicht werden,
soweit dies dem vereinzelt abgerissenen Bruchstück der Gott-
heit 1) überhaupt möglich ist.
Die Tugend aber ist sich selbst genug zur Erringung der
Glückseligkeit, und dieser Glückseligkeit wird durch Kürze ihrer
Dauer nichts abgebrochen, durch längere Dauer nichts zu-
gesetzt 2). Es ist nichts in stoischer Lehre, was den Menschen,
den Weisen, auf Vollendung seines Wesens und seiner Auf-
gaben in einem Leben ausserhalb des Leibes und des irdischen
Pflichtenbereiches hinwiese.
4.
Der nicht aus dem innersten Kern stoischer Lehre er-
wachsene, bedingte Unsterblichkeitsglaube kam ins Wanken, als
auch die starre Dogmatik dieser Schule dem Schicksale erlag,
in allzu naher Berührung mit der Kritik und den Lehrbehaup-
tungen anderer Schulen an ihrer Alleingiltigkeit irre zu werden.
Die streng gezogenen Grenzlinien der Sectenlehren wurden
flüssig, hin und her fand ein Austausch, fast eine Ausgleichung
statt. Panaetius, der erste Schriftsteller unter den stoischen
Schulpedanten, auf weitere Wirkung seiner Schriften bedacht,
der Lehrer und Freund namentlich jener edelsten Römer seiner
Zeit, denen griechische Philosophie den Keim einer Humanität
ins Herz pflanzte, die Roms harter Boden aus sich nicht her-
vorbringen konnte, stand in mehr als einem Punkte von der
Rechtgläubigkeit altstoischer Lehre ab. Die Menschenseele ist
ihm aus zwei Elementen gestaltet 3); sie ist nicht einheitlich,
1) ἀπόσπασμα τοῦ ϑεοῦ.
2) Oft wiederholtes stoisches Dogma (ausgeführt besonders bei
Seneca epist. 93). S. Gataker zu M. Aurel. (3, 7) p. 108. 109. Es be-
darf für die Glückseligkeit der (stoischen) Weisen nicht eines μῆκος βίου
τελείου, wie Aristoteles (s. oben p. 599 Anm.) meinte. Uebrigens stimmt hier
die Meinung der Stoa, dass es magni artificis est clusisse totum in exiguo;
tantum sapienti sua, quantum deo omnis aetas patet (Seneca epist. 53, 11)
völlig überein mit der des Epikur. S. unten p. 624, 7.
3) duo genera in der Seele nach Panaetius, der diese als inflammata
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/628>, abgerufen am 21.11.2024.
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