Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
Dionysische Religion in Griechenland. Ihre
Einigung mit apollinischer Religion. Ekstatische
Mantik. Kathartik und Geisterzwang. Askese.

Die Griechen haben, wie vielleicht Gestalt und Verehrung
des Ares, der Musen, von den Thrakern auch den Cult des
Dionysos übernommen und sich zu eigen gemacht. Alle
näheren Umstände der Aneignung entziehen sich unserer
Kunde: sie vollzog sich in jener Zeit jenseits der Schwelle
geschichtlicher Erinnerung, in welcher die Fülle eigener Triebe
und Gedanken, mit entlehnten Gestaltungen fremden Glaubens
unbefangen gemischt, zur griechischen Religion sich zusammen-
schloss.

Der fanatische Dionysosdienst ist schon dem Homer be-
kannt; schon bei ihm trägt der Gott den Namen, durch den
erst griechische Verehrer den Fremden sich vertraut gemacht
haben 1). Dennoch erscheint Dionysos im Epos kaum einige
Male flüchtig im Hintergrund. Er ist nicht der Spender
des Weintrunkes; er gehört nicht zu der Tafelrunde der im
Olymp versammelten grossen Götter; er greift auch in der

1) Dass Dionysos der griechische Name des Gottes ist, darf man
festhalten, wenngleich eine glaubliche Etymologie des Wortes noch nicht
gefunden ist. Der neulich gemachte Versuch einer Ableitung aus dem
Thrakischen hat wenig Einleuchtendes. Auch haben die Alten niemals
Dionusos (Dionusos, Deunusos u. s. w.) als die thrakische Benennung des
Gottes angesehen und dafür ausgegeben, wie doch Sabazios u. s. w. --
Läge in Dionusos etwas wie: Dios Nuseios uios, so wäre mit dem Namen
Dion. wohl gar schon die Sage von der Abstammung von Zeus (und
Semele) und also die Einfügung des fremden Gottes in die hellenische
Götterfamilie gegeben. Aber davon wissen die homerischen Gedichte
noch nichts (ausser in der späten, hesiodisirenden Stelle, Il. 14, 323 ff.)
und es ist kein Grund, einen solchen Sinn in dem Namen des Gottes zu
finden.
Dionysische Religion in Griechenland. Ihre
Einigung mit apollinischer Religion. Ekstatische
Mantik. Kathartik und Geisterzwang. Askese.

Die Griechen haben, wie vielleicht Gestalt und Verehrung
des Ares, der Musen, von den Thrakern auch den Cult des
Dionysos übernommen und sich zu eigen gemacht. Alle
näheren Umstände der Aneignung entziehen sich unserer
Kunde: sie vollzog sich in jener Zeit jenseits der Schwelle
geschichtlicher Erinnerung, in welcher die Fülle eigener Triebe
und Gedanken, mit entlehnten Gestaltungen fremden Glaubens
unbefangen gemischt, zur griechischen Religion sich zusammen-
schloss.

Der fanatische Dionysosdienst ist schon dem Homer be-
kannt; schon bei ihm trägt der Gott den Namen, durch den
erst griechische Verehrer den Fremden sich vertraut gemacht
haben 1). Dennoch erscheint Dionysos im Epos kaum einige
Male flüchtig im Hintergrund. Er ist nicht der Spender
des Weintrunkes; er gehört nicht zu der Tafelrunde der im
Olymp versammelten grossen Götter; er greift auch in der

1) Dass Dionysos der griechische Name des Gottes ist, darf man
festhalten, wenngleich eine glaubliche Etymologie des Wortes noch nicht
gefunden ist. Der neulich gemachte Versuch einer Ableitung aus dem
Thrakischen hat wenig Einleuchtendes. Auch haben die Alten niemals
Διόνυσος (Διώνυσος, Δεύνυσος u. s. w.) als die thrakische Benennung des
Gottes angesehen und dafür ausgegeben, wie doch Σαβάζιος u. s. w. —
Läge in Διόνυσος etwas wie: Διὸς Νυσήϊος ὑιός, so wäre mit dem Namen
Dion. wohl gar schon die Sage von der Abstammung von Zeus (und
Semele) und also die Einfügung des fremden Gottes in die hellenische
Götterfamilie gegeben. Aber davon wissen die homerischen Gedichte
noch nichts (ausser in der späten, hesiodisirenden Stelle, Il. 14, 323 ff.)
und es ist kein Grund, einen solchen Sinn in dem Namen des Gottes zu
finden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0343" n="[327]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Dionysische Religion in Griechenland. Ihre<lb/>
Einigung mit apollinischer Religion. Ekstatische<lb/>
Mantik. Kathartik und Geisterzwang. Askese.</hi> </head><lb/>
        <div>
          <p>Die Griechen haben, wie vielleicht Gestalt und Verehrung<lb/>
des Ares, der Musen, von den Thrakern auch den Cult des<lb/>
Dionysos übernommen und sich zu eigen gemacht. Alle<lb/>
näheren Umstände der Aneignung entziehen sich unserer<lb/>
Kunde: sie vollzog sich in jener Zeit jenseits der Schwelle<lb/>
geschichtlicher Erinnerung, in welcher die Fülle eigener Triebe<lb/>
und Gedanken, mit entlehnten Gestaltungen fremden Glaubens<lb/>
unbefangen gemischt, zur griechischen Religion sich zusammen-<lb/>
schloss.</p><lb/>
          <p>Der fanatische Dionysosdienst ist schon dem Homer be-<lb/>
kannt; schon bei ihm trägt der Gott den Namen, durch den<lb/>
erst griechische Verehrer den Fremden sich vertraut gemacht<lb/>
haben <note place="foot" n="1)">Dass Dionysos der <hi rendition="#g">griechische</hi> Name des Gottes ist, darf man<lb/>
festhalten, wenngleich eine glaubliche Etymologie des Wortes noch nicht<lb/>
gefunden ist. Der neulich gemachte Versuch einer Ableitung aus dem<lb/>
Thrakischen hat wenig Einleuchtendes. Auch haben die Alten niemals<lb/>
&#x0394;&#x03B9;&#x03CC;&#x03BD;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;&#x03C2; (&#x0394;&#x03B9;&#x03CE;&#x03BD;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;&#x03C2;, &#x0394;&#x03B5;&#x03CD;&#x03BD;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;&#x03C2; u. s. w.) als die thrakische Benennung des<lb/>
Gottes angesehen und dafür ausgegeben, wie doch &#x03A3;&#x03B1;&#x03B2;&#x03AC;&#x03B6;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; u. s. w. &#x2014;<lb/>
Läge in &#x0394;&#x03B9;&#x03CC;&#x03BD;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;&#x03C2; etwas wie: &#x0394;&#x03B9;&#x1F78;&#x03C2; &#x039D;&#x03C5;&#x03C3;&#x03AE;&#x03CA;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F51;&#x03B9;&#x03CC;&#x03C2;, so wäre mit dem Namen<lb/>
Dion. wohl gar schon die Sage von der Abstammung von Zeus (und<lb/>
Semele) und also die Einfügung des fremden Gottes in die hellenische<lb/>
Götterfamilie gegeben. Aber davon wissen die homerischen Gedichte<lb/>
noch nichts (ausser in der späten, hesiodisirenden Stelle, Il. 14, 323 ff.)<lb/>
und es ist kein Grund, einen solchen Sinn in dem Namen des Gottes zu<lb/>
finden.</note>. Dennoch erscheint Dionysos im Epos kaum einige<lb/>
Male flüchtig im Hintergrund. Er ist nicht der Spender<lb/>
des Weintrunkes; er gehört nicht zu der Tafelrunde der im<lb/>
Olymp versammelten grossen Götter; er greift auch in der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[327]/0343] Dionysische Religion in Griechenland. Ihre Einigung mit apollinischer Religion. Ekstatische Mantik. Kathartik und Geisterzwang. Askese. Die Griechen haben, wie vielleicht Gestalt und Verehrung des Ares, der Musen, von den Thrakern auch den Cult des Dionysos übernommen und sich zu eigen gemacht. Alle näheren Umstände der Aneignung entziehen sich unserer Kunde: sie vollzog sich in jener Zeit jenseits der Schwelle geschichtlicher Erinnerung, in welcher die Fülle eigener Triebe und Gedanken, mit entlehnten Gestaltungen fremden Glaubens unbefangen gemischt, zur griechischen Religion sich zusammen- schloss. Der fanatische Dionysosdienst ist schon dem Homer be- kannt; schon bei ihm trägt der Gott den Namen, durch den erst griechische Verehrer den Fremden sich vertraut gemacht haben 1). Dennoch erscheint Dionysos im Epos kaum einige Male flüchtig im Hintergrund. Er ist nicht der Spender des Weintrunkes; er gehört nicht zu der Tafelrunde der im Olymp versammelten grossen Götter; er greift auch in der 1) Dass Dionysos der griechische Name des Gottes ist, darf man festhalten, wenngleich eine glaubliche Etymologie des Wortes noch nicht gefunden ist. Der neulich gemachte Versuch einer Ableitung aus dem Thrakischen hat wenig Einleuchtendes. Auch haben die Alten niemals Διόνυσος (Διώνυσος, Δεύνυσος u. s. w.) als die thrakische Benennung des Gottes angesehen und dafür ausgegeben, wie doch Σαβάζιος u. s. w. — Läge in Διόνυσος etwas wie: Διὸς Νυσήϊος ὑιός, so wäre mit dem Namen Dion. wohl gar schon die Sage von der Abstammung von Zeus (und Semele) und also die Einfügung des fremden Gottes in die hellenische Götterfamilie gegeben. Aber davon wissen die homerischen Gedichte noch nichts (ausser in der späten, hesiodisirenden Stelle, Il. 14, 323 ff.) und es ist kein Grund, einen solchen Sinn in dem Namen des Gottes zu finden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/343
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. [327]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/343>, abgerufen am 21.11.2024.