Geltung freilich, eine grosse Schaar von Localgöttern im Glauben ihrer Verehrer lebendig; nicht mit zu den Höhen des Olymps emporgehoben, haften sie treu im heimathlichen Boden 1), Zeugen einer fernen Vergangenheit, in welcher die auf eigenem Gebiet streng abgesonderte Ortsgemeinde auch ihren Gott in die Enge der Heimath, über die ihre Gedanken nicht hinaus- schweiften, einschloss. Wir werden sehen, wie in den nach- homerischen Zeiten gar manche solche Erdgottheiten, d. h. in der Erde wohnend gedachte Gottheiten des ältesten Glaubens zu neuer, z. Th. auch zu verbreiteter Geltung gelangten. Dem Epos in seiner Blüthezeit blieben diese erdhausenden Götter fremd. Wo es nicht über sie hinwegsieht, verwandeln sie sich ihm in entrückte Helden, und, ausserhalb des localen Cultus, blieb in solchen Fällen dies die allen Griechen geläufige Vor- stellung.
2.
Und doch finden sich im Epos selbst, das ja auf folge- rechte und ausnahmefreie Durchführung eines aus der Re- flexion geborenen Systems keineswegs bedacht ist, wenigstens einige dunkle Erinnerungen an den alten Glauben, dass in Berghöhlen Götter dauernd wohnen können.
Die Odyssee (19, 178 f.) nennt Minos, des Zeus Sohn (vgl. Il. 13, 450; 14, 322; Od. 11, 568), der in Knossos, der kretischen Stadt, herrschte, "des grossen Zeus Gesprächs- genossen" 2). Sehr wahrscheinlich hat der Dichter selbst mit
1) In seiner Art des Ausdrucks zwar, aber sachlich ganz richtig setzt solche im Lande haftende Localgötter den olympischen Gottheiten entgegen Origenes c. Cels. 3, 35 g. Ende: -- mokhtheron daimonon kai topous epi ges prokateilephoton, epei tes katharoteras ou dunantai ephapsasthai khoras kai theiotetos. Von Asklepios derselbe 5, 2 (p. 169 Lomm.): theos men an eie, aei de lakhon oikein ten gen kai osperei phugas tou topou ton theon.
2) Dios megalou oaristes. Das Wort bezeichnet sowohl im Besonderen das vertrauliche Reden, als im Allgemeinen den vertrauten Verkehr mit Zeus. -- Das dunkle enneoros braucht hier nicht berücksichtigt zu werden; wie man es auch deute, es ist jedenfalls mit basileue, neben dem es steht, zu verbinden, nicht (wie freilich schon Alte vielfach gethan haben) mit Dios m. oaristes.
Geltung freilich, eine grosse Schaar von Localgöttern im Glauben ihrer Verehrer lebendig; nicht mit zu den Höhen des Olymps emporgehoben, haften sie treu im heimathlichen Boden 1), Zeugen einer fernen Vergangenheit, in welcher die auf eigenem Gebiet streng abgesonderte Ortsgemeinde auch ihren Gott in die Enge der Heimath, über die ihre Gedanken nicht hinaus- schweiften, einschloss. Wir werden sehen, wie in den nach- homerischen Zeiten gar manche solche Erdgottheiten, d. h. in der Erde wohnend gedachte Gottheiten des ältesten Glaubens zu neuer, z. Th. auch zu verbreiteter Geltung gelangten. Dem Epos in seiner Blüthezeit blieben diese erdhausenden Götter fremd. Wo es nicht über sie hinwegsieht, verwandeln sie sich ihm in entrückte Helden, und, ausserhalb des localen Cultus, blieb in solchen Fällen dies die allen Griechen geläufige Vor- stellung.
2.
Und doch finden sich im Epos selbst, das ja auf folge- rechte und ausnahmefreie Durchführung eines aus der Re- flexion geborenen Systems keineswegs bedacht ist, wenigstens einige dunkle Erinnerungen an den alten Glauben, dass in Berghöhlen Götter dauernd wohnen können.
Die Odyssee (19, 178 f.) nennt Minos, des Zeus Sohn (vgl. Il. 13, 450; 14, 322; Od. 11, 568), der in Knossos, der kretischen Stadt, herrschte, „des grossen Zeus Gesprächs- genossen“ 2). Sehr wahrscheinlich hat der Dichter selbst mit
1) In seiner Art des Ausdrucks zwar, aber sachlich ganz richtig setzt solche im Lande haftende Localgötter den olympischen Gottheiten entgegen Origenes c. Cels. 3, 35 g. Ende: — μοχϑηρῶν δαιμόνων καὶ τόπους ἐπὶ γῆς προκατειληφότων, ἐπεὶ τῆς καϑαρωτέρας οὐ δύνανται ἐφάψασϑαι χώρας καὶ ϑειότητος. Von Asklepios derselbe 5, 2 (p. 169 Lomm.): ϑεὸς μὲν ἂν εἴη, ἀεὶ δέ λαχὼν οἰκεῖν τὴν γῆν καὶ ώσπερεὶ φυγὰς τοῦ τόπου τῶν ϑεῶν.
2) Διὸς μεγάλου ὀαριστής. Das Wort bezeichnet sowohl im Besonderen das vertrauliche Reden, als im Allgemeinen den vertrauten Verkehr mit Zeus. — Das dunkle ἐννέωρος braucht hier nicht berücksichtigt zu werden; wie man es auch deute, es ist jedenfalls mit βασίλευε, neben dem es steht, zu verbinden, nicht (wie freilich schon Alte vielfach gethan haben) mit Διὸς μ. ὀαριστής.
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Zeugen einer fernen Vergangenheit, in welcher die auf eigenem
Gebiet streng abgesonderte Ortsgemeinde auch ihren Gott in
die Enge der Heimath, über die ihre Gedanken nicht hinaus-
schweiften, einschloss. Wir werden sehen, wie in den nach-
homerischen Zeiten gar manche solche Erdgottheiten, d. h. in
der Erde wohnend gedachte Gottheiten des ältesten Glaubens
zu neuer, z. Th. auch zu verbreiteter Geltung gelangten. Dem
Epos in seiner Blüthezeit blieben diese erdhausenden Götter
fremd. Wo es nicht über sie hinwegsieht, verwandeln sie sich
ihm in entrückte Helden, und, ausserhalb des localen Cultus,
blieb in solchen Fällen dies die allen Griechen geläufige Vor-
stellung.
2.
Und doch finden sich im Epos selbst, das ja auf folge-
rechte und ausnahmefreie Durchführung eines aus der Re-
flexion geborenen Systems keineswegs bedacht ist, wenigstens
einige dunkle Erinnerungen an den alten Glauben, dass in
Berghöhlen Götter dauernd wohnen können.
Die Odyssee (19, 178 f.) nennt Minos, des Zeus Sohn
(vgl. Il. 13, 450; 14, 322; Od. 11, 568), der in Knossos, der
kretischen Stadt, herrschte, „des grossen Zeus Gesprächs-
genossen“ 2). Sehr wahrscheinlich hat der Dichter selbst mit
1) In seiner Art des Ausdrucks zwar, aber sachlich ganz richtig
setzt solche im Lande haftende Localgötter den olympischen Gottheiten
entgegen Origenes c. Cels. 3, 35 g. Ende: — μοχϑηρῶν δαιμόνων καὶ τόπους
ἐπὶ γῆς προκατειληφότων, ἐπεὶ τῆς καϑαρωτέρας οὐ δύνανται ἐφάψασϑαι χώρας
καὶ ϑειότητος. Von Asklepios derselbe 5, 2 (p. 169 Lomm.): ϑεὸς μὲν ἂν
εἴη, ἀεὶ δέ λαχὼν οἰκεῖν τὴν γῆν καὶ ώσπερεὶ φυγὰς τοῦ τόπου τῶν ϑεῶν.
2) Διὸς μεγάλου ὀαριστής. Das Wort bezeichnet sowohl im Besonderen
das vertrauliche Reden, als im Allgemeinen den vertrauten Verkehr mit
Zeus. — Das dunkle ἐννέωρος braucht hier nicht berücksichtigt zu werden;
wie man es auch deute, es ist jedenfalls mit βασίλευε, neben dem es steht,
zu verbinden, nicht (wie freilich schon Alte vielfach gethan haben) mit
Διὸς μ. ὀαριστής.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/135>, abgerufen am 05.02.2025.
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