Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite
3. Die Krisis von 1733--1736.

Unmittelbar nach dem Tode des Königs übernahm der Erz-
bischof von Gnesen Theodor Potocki als Primas dem Reichs-
recht gemäß die Leitung der Dinge; ein Mann von hohen
Jahren zwar, aber noch frischen, rüstigen Geistes. Sein und
seiner Familie und Parthei Kandidat für den erledigten Thron
war schon lange Stanislaw Leszczynski. Sie rechneten auf die
Unterstützung Ludwig XV., dessen Schwiegervater Leszczynski
seit 1725 war, und hatten um so mehr Grund hiezu, als der
französische Gesandte in Warschau, Graf Monti, seit 1729
nicht ohne Erfolg, auch mit vielem Golde für jenen gewirkt
hatte. Jetzt aber gelang es dem Primas, auch die bisherige
Hofparthei für ihn zu gewinnen; sei es, daß die "Familie"
aus alter Vorliebe für Frankreich und Anhänglichkeit an Sta-
nislaw, von dem als König ein Eingehen auf die Idee der Reform
zu erwarten war, für ihn Parthei nahm; sei es, daß sie von
dem Strom der nationalen Bewegung mit fortgerissen oder
vielmehr von all diesem zusammen bestimmt ward. Denn der
Ruf, den die Potocki zunächst erhoben, "kein Fremder", sondern
ein "Piast" müsse gewählt werden, hatte sofort in der Masse
des Adels einen um so lebhafteren Anklang gefunden, je höher
von Jahr zu Jahr das Mißvergnügen mit der Regierung
August II. gestiegen war, welche das Interesse seiner Dynastie

3. Die Kriſis von 1733—1736.

Unmittelbar nach dem Tode des Königs übernahm der Erz-
biſchof von Gneſen Theodor Potocki als Primas dem Reichs-
recht gemäß die Leitung der Dinge; ein Mann von hohen
Jahren zwar, aber noch friſchen, rüſtigen Geiſtes. Sein und
ſeiner Familie und Parthei Kandidat für den erledigten Thron
war ſchon lange Stanislaw Leszczynski. Sie rechneten auf die
Unterſtützung Ludwig XV., deſſen Schwiegervater Leszczynski
ſeit 1725 war, und hatten um ſo mehr Grund hiezu, als der
franzöſiſche Geſandte in Warſchau, Graf Monti, ſeit 1729
nicht ohne Erfolg, auch mit vielem Golde für jenen gewirkt
hatte. Jetzt aber gelang es dem Primas, auch die bisherige
Hofparthei für ihn zu gewinnen; ſei es, daß die „Familie“
aus alter Vorliebe für Frankreich und Anhänglichkeit an Sta-
nislaw, von dem als König ein Eingehen auf die Idee der Reform
zu erwarten war, für ihn Parthei nahm; ſei es, daß ſie von
dem Strom der nationalen Bewegung mit fortgeriſſen oder
vielmehr von all dieſem zuſammen beſtimmt ward. Denn der
Ruf, den die Potocki zunächſt erhoben, „kein Fremder“, ſondern
ein „Piaſt“ müſſe gewählt werden, hatte ſofort in der Maſſe
des Adels einen um ſo lebhafteren Anklang gefunden, je höher
von Jahr zu Jahr das Mißvergnügen mit der Regierung
Auguſt II. geſtiegen war, welche das Intereſſe ſeiner Dynaſtie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0053" n="[39]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">3. Die Kri&#x017F;is von 1733&#x2014;1736.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Unmittelbar nach dem Tode des Königs übernahm der Erz-<lb/>
bi&#x017F;chof von Gne&#x017F;en Theodor Potocki als Primas dem Reichs-<lb/>
recht gemäß die Leitung der Dinge; ein Mann von hohen<lb/>
Jahren zwar, aber noch fri&#x017F;chen, rü&#x017F;tigen Gei&#x017F;tes. Sein und<lb/>
&#x017F;einer Familie und Parthei Kandidat für den erledigten Thron<lb/>
war &#x017F;chon lange Stanislaw Leszczynski. Sie rechneten auf die<lb/>
Unter&#x017F;tützung Ludwig <hi rendition="#aq">XV.,</hi> de&#x017F;&#x017F;en Schwiegervater Leszczynski<lb/>
&#x017F;eit 1725 war, und hatten um &#x017F;o mehr Grund hiezu, als der<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;andte in War&#x017F;chau, Graf Monti, &#x017F;eit 1729<lb/>
nicht ohne Erfolg, auch mit vielem Golde für jenen gewirkt<lb/>
hatte. Jetzt aber gelang es dem Primas, auch die bisherige<lb/>
Hofparthei für ihn zu gewinnen; &#x017F;ei es, daß die &#x201E;Familie&#x201C;<lb/>
aus alter Vorliebe für Frankreich und Anhänglichkeit an Sta-<lb/>
nislaw, von dem als König ein Eingehen auf die Idee der Reform<lb/>
zu erwarten war, für ihn Parthei nahm; &#x017F;ei es, daß &#x017F;ie von<lb/>
dem Strom der nationalen Bewegung mit fortgeri&#x017F;&#x017F;en oder<lb/>
vielmehr von all die&#x017F;em zu&#x017F;ammen be&#x017F;timmt ward. Denn der<lb/>
Ruf, den die Potocki zunäch&#x017F;t erhoben, &#x201E;kein Fremder&#x201C;, &#x017F;ondern<lb/>
ein &#x201E;Pia&#x017F;t&#x201C;&#x017F;&#x017F;e gewählt werden, hatte &#x017F;ofort in der Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
des Adels einen um &#x017F;o lebhafteren Anklang gefunden, je höher<lb/>
von Jahr zu Jahr das Mißvergnügen mit der Regierung<lb/>
Augu&#x017F;t <hi rendition="#aq">II.</hi> ge&#x017F;tiegen war, welche das Intere&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer Dyna&#x017F;tie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[39]/0053] 3. Die Kriſis von 1733—1736. Unmittelbar nach dem Tode des Königs übernahm der Erz- biſchof von Gneſen Theodor Potocki als Primas dem Reichs- recht gemäß die Leitung der Dinge; ein Mann von hohen Jahren zwar, aber noch friſchen, rüſtigen Geiſtes. Sein und ſeiner Familie und Parthei Kandidat für den erledigten Thron war ſchon lange Stanislaw Leszczynski. Sie rechneten auf die Unterſtützung Ludwig XV., deſſen Schwiegervater Leszczynski ſeit 1725 war, und hatten um ſo mehr Grund hiezu, als der franzöſiſche Geſandte in Warſchau, Graf Monti, ſeit 1729 nicht ohne Erfolg, auch mit vielem Golde für jenen gewirkt hatte. Jetzt aber gelang es dem Primas, auch die bisherige Hofparthei für ihn zu gewinnen; ſei es, daß die „Familie“ aus alter Vorliebe für Frankreich und Anhänglichkeit an Sta- nislaw, von dem als König ein Eingehen auf die Idee der Reform zu erwarten war, für ihn Parthei nahm; ſei es, daß ſie von dem Strom der nationalen Bewegung mit fortgeriſſen oder vielmehr von all dieſem zuſammen beſtimmt ward. Denn der Ruf, den die Potocki zunächſt erhoben, „kein Fremder“, ſondern ein „Piaſt“ müſſe gewählt werden, hatte ſofort in der Maſſe des Adels einen um ſo lebhafteren Anklang gefunden, je höher von Jahr zu Jahr das Mißvergnügen mit der Regierung Auguſt II. geſtiegen war, welche das Intereſſe ſeiner Dynaſtie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/53
Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. [39]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/53>, abgerufen am 22.12.2024.