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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913.

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Eisenbahnpolitik.

Inhalt: A. Begriff, Ziele und Systeme der E. I. Privatbahnsystem. Repressive und präventive Überwachung durch den Staat. Staatsgarantie. Mängel des Privatbahnsystems. II. Pachtbetrieb von Staatsbahnen. III. Staatsbetrieb von Privatbahnen. IV. Staatsbahnsystem, seine Entwicklung, seine Vorzüge und Nachteile. V. Gemischtes System. - B. Anwendung der E. auf die Einzelgebiete des Eisenbahnwesens, u. zw. auf: a) Eisenbahnbau, b) Eisenbahnbetrieb, c) Verkehrs- und Tarifwesen (Tarifpolitik), d) Bahnen niederer Ordnung. - C. Geschichte der E. in den einzelnen Staaten.

A) Begriff: Ziele und Systeme der E. Die E. umfaßt ihrem Begriffe nach objektiv die Gesamtheit der Betätigungen und als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung die Grundsätze und Regeln, durch deren Anwendung der Staat das Eisenbahnwesen seinen Zwecken dienstbar zu machen strebt. Sie ist also die Lehre von den Grundsätzen, nach denen die Verwaltung der Eisenbahnen im Staate zu regeln ist. Insofern die Eisenbahnen neben den Straßen, den natürlichen und künstlichen Wasserwegen, der Post, dem Telegraphen und Telephon zu den Verkehrsmitteln gehören, bildet die E. einen Teil der Politik des Verkehrswesens und fügt sich in die Lehre von den Grundsätzen ein, die für die Einflußnahme des Staates auf die Einrichtung und Regelung der Verkehrsmittel im Rahmen der Volkswirtschaftspolitik maßgebend sind.

Wenn unter Politik gleichmäßig die Lehre vom Staate, seinen Einrichtungen und Funktionen zu verstehen ist und daneben die Anwendung der von dieser Wissenschaft zur Richtschnur vorgezeichneten Grundsätze auf die im öffentlichen Leben des einzelnen Staates stattfindenden Betätigungen, so tritt dieser enge Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis bei der Verkehrspolitik und der E. besonders deutlich erkennbar in den Vordergrund. Denn in höherem Maße als auf anderen Gebieten der Volkswirtschaftspflege ist die Entwicklung und Gestaltung der Eisenbahnen in den meisten Kulturstaaten von den Anregungen beeinflußt worden, die aus der wissenschaftlichen Erkenntnis und Darlegung der Eigenart dieses Verkehrsmittels hervorgegangen sind. Gewisse Entwicklungen des Eisenbahnwesens, wie die in den europäischen Festlandsstaaten immer weiter ausgedehnte Verstaatlichung der Hauptbahnen und die Betätigung der Selbstverwaltungskörper im Bahnwesen niederer Ordnung, stellen sich geradezu als Folgewirkungen der Forderungen dar, die von den Vertretern der sozialökonomischen Richtung in der Volkswirtschaftslehre ausgegangen sind und auf dem Wege wissenschaftlicher Propaganda Eingang und Verbreitung in den zur praktischen Führung der Volkswirtschaftspolitik berufenen Kreisen gefunden haben.

Wissenschaft und Praxis sind heute darin einig, daß die E. zu den wichtigsten Aufgaben der staatlichen Volkswirtschaftspflege zu zählen ist und daß der Staat die Pflicht hat, das Eisenbahnwesen in der dem Gemeinwohl dienlichsten Art zu leiten und zu regeln. Diese Erkenntnis ist durch die mächtige Entwicklung des neuen Verkehrsmittels immer mehr verbreitet und vertieft, zum Gemeingut aller zivilisierten Nationen geworden. Sie alle streben auf verschiedenen Wegen wenn auch mit abweichenden Methoden dem Ziele zu, die öffentlichen Interessen im Bereiche des Eisenbahnwesens überwiegend zur Geltung zu bringen. (Österreich war auf dem europäischen Festland einer der ersten Staaten, der die Richtlinien einer systematischen E. feststellte. Durch Erlaß der Konzessionsdirektiven vom 29. Dezember 1837 und 18. Juni 18381 wurden die allgemeinen Rechtsgrundlagen für die Betätigung des privaten Unternehmungsgeistes auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens geschaffen und durch das Hofkanzleidekret vom 23. Dezember 1841 die Hauptrichtungen vorgezeichnet, in denen ein großartiges Netz von Staatsbahnen entstehen sollte und auch tatsächlich zur Ausführung gelangt ist.)

Forscht man den Ursachen nach, die bewirken, daß der Staat auf die Eisenbahnen in weit größerem Umfange Einfluß nimmt als auf irgend einen anderen Zweig der Transportindustrie, so fällt zunächst ins Auge die alle anderen Verkehrsmittel übersteigende Bedeutung der Schienenwege als der für das heutige wirtschaftliche und soziale Leben unentbehrlichen Vermittler des Personen- und Güterverkehrs. Die Vermittlung des Verkehrs wird zu einer Art öffentlicher Funktion, deren ungestörter Vollzug ein staatliches Interesse erster Ordnung darstellt. Nicht minder erheischen die mit dem Eisenbahnbetrieb unvermeidlich verbundenen Gefahren für die Reisenden, das Bahnpersonal und die Anlieger die Obsorge des Staates für die Sicherheit des Betriebs. Hiezu kommt, daß die Eigenart des Bahnbetriebs vermöge seiner technischen und ökonomischen Überlegenheit dazu führt, den Verkehr des von der Bahn durchzogenen Gebietes an sich zu ziehen, so daß den Bahnen ein tatsächliches Monopol für die Verkehrsbesorgung in ihrem Gebiete

1 Kundgemacht mit Hofkanzleidekret vom 30. Juni 1838 in der Politischen Gesetzsammlung unter Nr. 83, 66. Band vom Jahre 1838, S. 247.

Eisenbahnpolitik.

Inhalt: A. Begriff, Ziele und Systeme der E. I. Privatbahnsystem. Repressive und präventive Überwachung durch den Staat. Staatsgarantie. Mängel des Privatbahnsystems. II. Pachtbetrieb von Staatsbahnen. III. Staatsbetrieb von Privatbahnen. IV. Staatsbahnsystem, seine Entwicklung, seine Vorzüge und Nachteile. V. Gemischtes System. – B. Anwendung der E. auf die Einzelgebiete des Eisenbahnwesens, u. zw. auf: a) Eisenbahnbau, b) Eisenbahnbetrieb, c) Verkehrs- und Tarifwesen (Tarifpolitik), d) Bahnen niederer Ordnung. – C. Geschichte der E. in den einzelnen Staaten.

A) Begriff: Ziele und Systeme der E. Die E. umfaßt ihrem Begriffe nach objektiv die Gesamtheit der Betätigungen und als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung die Grundsätze und Regeln, durch deren Anwendung der Staat das Eisenbahnwesen seinen Zwecken dienstbar zu machen strebt. Sie ist also die Lehre von den Grundsätzen, nach denen die Verwaltung der Eisenbahnen im Staate zu regeln ist. Insofern die Eisenbahnen neben den Straßen, den natürlichen und künstlichen Wasserwegen, der Post, dem Telegraphen und Telephon zu den Verkehrsmitteln gehören, bildet die E. einen Teil der Politik des Verkehrswesens und fügt sich in die Lehre von den Grundsätzen ein, die für die Einflußnahme des Staates auf die Einrichtung und Regelung der Verkehrsmittel im Rahmen der Volkswirtschaftspolitik maßgebend sind.

Wenn unter Politik gleichmäßig die Lehre vom Staate, seinen Einrichtungen und Funktionen zu verstehen ist und daneben die Anwendung der von dieser Wissenschaft zur Richtschnur vorgezeichneten Grundsätze auf die im öffentlichen Leben des einzelnen Staates stattfindenden Betätigungen, so tritt dieser enge Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis bei der Verkehrspolitik und der E. besonders deutlich erkennbar in den Vordergrund. Denn in höherem Maße als auf anderen Gebieten der Volkswirtschaftspflege ist die Entwicklung und Gestaltung der Eisenbahnen in den meisten Kulturstaaten von den Anregungen beeinflußt worden, die aus der wissenschaftlichen Erkenntnis und Darlegung der Eigenart dieses Verkehrsmittels hervorgegangen sind. Gewisse Entwicklungen des Eisenbahnwesens, wie die in den europäischen Festlandsstaaten immer weiter ausgedehnte Verstaatlichung der Hauptbahnen und die Betätigung der Selbstverwaltungskörper im Bahnwesen niederer Ordnung, stellen sich geradezu als Folgewirkungen der Forderungen dar, die von den Vertretern der sozialökonomischen Richtung in der Volkswirtschaftslehre ausgegangen sind und auf dem Wege wissenschaftlicher Propaganda Eingang und Verbreitung in den zur praktischen Führung der Volkswirtschaftspolitik berufenen Kreisen gefunden haben.

Wissenschaft und Praxis sind heute darin einig, daß die E. zu den wichtigsten Aufgaben der staatlichen Volkswirtschaftspflege zu zählen ist und daß der Staat die Pflicht hat, das Eisenbahnwesen in der dem Gemeinwohl dienlichsten Art zu leiten und zu regeln. Diese Erkenntnis ist durch die mächtige Entwicklung des neuen Verkehrsmittels immer mehr verbreitet und vertieft, zum Gemeingut aller zivilisierten Nationen geworden. Sie alle streben auf verschiedenen Wegen wenn auch mit abweichenden Methoden dem Ziele zu, die öffentlichen Interessen im Bereiche des Eisenbahnwesens überwiegend zur Geltung zu bringen. (Österreich war auf dem europäischen Festland einer der ersten Staaten, der die Richtlinien einer systematischen E. feststellte. Durch Erlaß der Konzessionsdirektiven vom 29. Dezember 1837 und 18. Juni 18381 wurden die allgemeinen Rechtsgrundlagen für die Betätigung des privaten Unternehmungsgeistes auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens geschaffen und durch das Hofkanzleidekret vom 23. Dezember 1841 die Hauptrichtungen vorgezeichnet, in denen ein großartiges Netz von Staatsbahnen entstehen sollte und auch tatsächlich zur Ausführung gelangt ist.)

Forscht man den Ursachen nach, die bewirken, daß der Staat auf die Eisenbahnen in weit größerem Umfange Einfluß nimmt als auf irgend einen anderen Zweig der Transportindustrie, so fällt zunächst ins Auge die alle anderen Verkehrsmittel übersteigende Bedeutung der Schienenwege als der für das heutige wirtschaftliche und soziale Leben unentbehrlichen Vermittler des Personen- und Güterverkehrs. Die Vermittlung des Verkehrs wird zu einer Art öffentlicher Funktion, deren ungestörter Vollzug ein staatliches Interesse erster Ordnung darstellt. Nicht minder erheischen die mit dem Eisenbahnbetrieb unvermeidlich verbundenen Gefahren für die Reisenden, das Bahnpersonal und die Anlieger die Obsorge des Staates für die Sicherheit des Betriebs. Hiezu kommt, daß die Eigenart des Bahnbetriebs vermöge seiner technischen und ökonomischen Überlegenheit dazu führt, den Verkehr des von der Bahn durchzogenen Gebietes an sich zu ziehen, so daß den Bahnen ein tatsächliches Monopol für die Verkehrsbesorgung in ihrem Gebiete

1 Kundgemacht mit Hofkanzleidekret vom 30. Juni 1838 in der Politischen Gesetzsammlung unter Nr. 83, 66. Band vom Jahre 1838, S. 247.
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[93/0102] Eisenbahnpolitik. Inhalt: A. Begriff, Ziele und Systeme der E. I. Privatbahnsystem. Repressive und präventive Überwachung durch den Staat. Staatsgarantie. Mängel des Privatbahnsystems. II. Pachtbetrieb von Staatsbahnen. III. Staatsbetrieb von Privatbahnen. IV. Staatsbahnsystem, seine Entwicklung, seine Vorzüge und Nachteile. V. Gemischtes System. – B. Anwendung der E. auf die Einzelgebiete des Eisenbahnwesens, u. zw. auf: a) Eisenbahnbau, b) Eisenbahnbetrieb, c) Verkehrs- und Tarifwesen (Tarifpolitik), d) Bahnen niederer Ordnung. – C. Geschichte der E. in den einzelnen Staaten. A) Begriff: Ziele und Systeme der E. Die E. umfaßt ihrem Begriffe nach objektiv die Gesamtheit der Betätigungen und als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung die Grundsätze und Regeln, durch deren Anwendung der Staat das Eisenbahnwesen seinen Zwecken dienstbar zu machen strebt. Sie ist also die Lehre von den Grundsätzen, nach denen die Verwaltung der Eisenbahnen im Staate zu regeln ist. Insofern die Eisenbahnen neben den Straßen, den natürlichen und künstlichen Wasserwegen, der Post, dem Telegraphen und Telephon zu den Verkehrsmitteln gehören, bildet die E. einen Teil der Politik des Verkehrswesens und fügt sich in die Lehre von den Grundsätzen ein, die für die Einflußnahme des Staates auf die Einrichtung und Regelung der Verkehrsmittel im Rahmen der Volkswirtschaftspolitik maßgebend sind. Wenn unter Politik gleichmäßig die Lehre vom Staate, seinen Einrichtungen und Funktionen zu verstehen ist und daneben die Anwendung der von dieser Wissenschaft zur Richtschnur vorgezeichneten Grundsätze auf die im öffentlichen Leben des einzelnen Staates stattfindenden Betätigungen, so tritt dieser enge Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis bei der Verkehrspolitik und der E. besonders deutlich erkennbar in den Vordergrund. Denn in höherem Maße als auf anderen Gebieten der Volkswirtschaftspflege ist die Entwicklung und Gestaltung der Eisenbahnen in den meisten Kulturstaaten von den Anregungen beeinflußt worden, die aus der wissenschaftlichen Erkenntnis und Darlegung der Eigenart dieses Verkehrsmittels hervorgegangen sind. Gewisse Entwicklungen des Eisenbahnwesens, wie die in den europäischen Festlandsstaaten immer weiter ausgedehnte Verstaatlichung der Hauptbahnen und die Betätigung der Selbstverwaltungskörper im Bahnwesen niederer Ordnung, stellen sich geradezu als Folgewirkungen der Forderungen dar, die von den Vertretern der sozialökonomischen Richtung in der Volkswirtschaftslehre ausgegangen sind und auf dem Wege wissenschaftlicher Propaganda Eingang und Verbreitung in den zur praktischen Führung der Volkswirtschaftspolitik berufenen Kreisen gefunden haben. Wissenschaft und Praxis sind heute darin einig, daß die E. zu den wichtigsten Aufgaben der staatlichen Volkswirtschaftspflege zu zählen ist und daß der Staat die Pflicht hat, das Eisenbahnwesen in der dem Gemeinwohl dienlichsten Art zu leiten und zu regeln. Diese Erkenntnis ist durch die mächtige Entwicklung des neuen Verkehrsmittels immer mehr verbreitet und vertieft, zum Gemeingut aller zivilisierten Nationen geworden. Sie alle streben auf verschiedenen Wegen wenn auch mit abweichenden Methoden dem Ziele zu, die öffentlichen Interessen im Bereiche des Eisenbahnwesens überwiegend zur Geltung zu bringen. (Österreich war auf dem europäischen Festland einer der ersten Staaten, der die Richtlinien einer systematischen E. feststellte. Durch Erlaß der Konzessionsdirektiven vom 29. Dezember 1837 und 18. Juni 1838 1 wurden die allgemeinen Rechtsgrundlagen für die Betätigung des privaten Unternehmungsgeistes auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens geschaffen und durch das Hofkanzleidekret vom 23. Dezember 1841 die Hauptrichtungen vorgezeichnet, in denen ein großartiges Netz von Staatsbahnen entstehen sollte und auch tatsächlich zur Ausführung gelangt ist.) Forscht man den Ursachen nach, die bewirken, daß der Staat auf die Eisenbahnen in weit größerem Umfange Einfluß nimmt als auf irgend einen anderen Zweig der Transportindustrie, so fällt zunächst ins Auge die alle anderen Verkehrsmittel übersteigende Bedeutung der Schienenwege als der für das heutige wirtschaftliche und soziale Leben unentbehrlichen Vermittler des Personen- und Güterverkehrs. Die Vermittlung des Verkehrs wird zu einer Art öffentlicher Funktion, deren ungestörter Vollzug ein staatliches Interesse erster Ordnung darstellt. Nicht minder erheischen die mit dem Eisenbahnbetrieb unvermeidlich verbundenen Gefahren für die Reisenden, das Bahnpersonal und die Anlieger die Obsorge des Staates für die Sicherheit des Betriebs. Hiezu kommt, daß die Eigenart des Bahnbetriebs vermöge seiner technischen und ökonomischen Überlegenheit dazu führt, den Verkehr des von der Bahn durchzogenen Gebietes an sich zu ziehen, so daß den Bahnen ein tatsächliches Monopol für die Verkehrsbesorgung in ihrem Gebiete 1 Kundgemacht mit Hofkanzleidekret vom 30. Juni 1838 in der Politischen Gesetzsammlung unter Nr. 83, 66. Band vom Jahre 1838, S. 247.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913/102>, abgerufen am 23.11.2024.