Wilamowitz hat (Analect. Euripid. p. 186) die tiefeinschnei- dende Bemerkung gemacht, dass die Namen, welche vom Dichter namenlos gelassene Personen in den Hypotheseis erhalten, von späteren Grammatikern, die ihre Kenntnis nicht sowohl der Lektüre der Dichtung selbst als der Hypothesis verdanken oder wenigstens im gegebenen Fall sich begnügen, die letztere nach- zuschlagen, statt die erstere aufs neue durchzulesen, dem Dichter selbst zugeschrieben werden. So erklärt es sich, um nur eins der von Wilamowitz angeführten Beispiele herauszugreifen, dass nach dem Zeugnis der Pindarscholien (Isthm. IV 104) bei Euripi- des die drei Söhne des Herakles Therimachos Deikoon und Aristodemos geheissen haben sollen, während sie, wie der er- haltene Herakles, auf den sich die Notiz allein beziehen kann, zeigt, bei Euripides namenlos waren. Allein diese Beobachtung be- schränkt sich nicht bloss auf die Namen; auch andere, der Dich- tung fremde Zusätze pflegen die Hypotheseis zu haben; so, um von der Angabe abweichender Versionen in anderen Dichtungen zu schweigen, namentlich eine mehr oder minder ausführliche Erzählung der Ereignisse, welche vor den Zeitpunkt, mit dem das Stück beginnt, fallen und die Voraussetzung desselben bilden; natürlich ist man bei Abfassung derselben darauf bedacht, sie möglichst vollständig aus den im Stücke selbst über die Vorgeschichte gegebenen Andeutungen zusammenzustellen; allein
EXCURS VI.
ZU DEN HYPOTHESEIS.
Wilamowitz hat (Analect. Euripid. p. 186) die tiefeinschnei- dende Bemerkung gemacht, daſs die Namen, welche vom Dichter namenlos gelassene Personen in den Hypotheseis erhalten, von späteren Grammatikern, die ihre Kenntnis nicht sowohl der Lektüre der Dichtung selbst als der Hypothesis verdanken oder wenigstens im gegebenen Fall sich begnügen, die letztere nach- zuschlagen, statt die erstere aufs neue durchzulesen, dem Dichter selbst zugeschrieben werden. So erklärt es sich, um nur eins der von Wilamowitz angeführten Beispiele herauszugreifen, daſs nach dem Zeugnis der Pindarscholien (Isthm. IV 104) bei Euripi- des die drei Söhne des Herakles Therimachos Deikoon und Aristodemos geheiſsen haben sollen, während sie, wie der er- haltene Herakles, auf den sich die Notiz allein beziehen kann, zeigt, bei Euripides namenlos waren. Allein diese Beobachtung be- schränkt sich nicht bloſs auf die Namen; auch andere, der Dich- tung fremde Zusätze pflegen die Hypotheseis zu haben; so, um von der Angabe abweichender Versionen in anderen Dichtungen zu schweigen, namentlich eine mehr oder minder ausführliche Erzählung der Ereignisse, welche vor den Zeitpunkt, mit dem das Stück beginnt, fallen und die Voraussetzung desselben bilden; natürlich ist man bei Abfassung derselben darauf bedacht, sie möglichst vollständig aus den im Stücke selbst über die Vorgeschichte gegebenen Andeutungen zusammenzustellen; allein
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EXCURS VI.
ZU DEN HYPOTHESEIS.
Wilamowitz hat (Analect. Euripid. p. 186) die tiefeinschnei-
dende Bemerkung gemacht, daſs die Namen, welche vom Dichter
namenlos gelassene Personen in den Hypotheseis erhalten, von
späteren Grammatikern, die ihre Kenntnis nicht sowohl der
Lektüre der Dichtung selbst als der Hypothesis verdanken oder
wenigstens im gegebenen Fall sich begnügen, die letztere nach-
zuschlagen, statt die erstere aufs neue durchzulesen, dem Dichter
selbst zugeschrieben werden. So erklärt es sich, um nur eins
der von Wilamowitz angeführten Beispiele herauszugreifen, daſs
nach dem Zeugnis der Pindarscholien (Isthm. IV 104) bei Euripi-
des die drei Söhne des Herakles Therimachos Deikoon und
Aristodemos geheiſsen haben sollen, während sie, wie der er-
haltene Herakles, auf den sich die Notiz allein beziehen kann,
zeigt, bei Euripides namenlos waren. Allein diese Beobachtung be-
schränkt sich nicht bloſs auf die Namen; auch andere, der Dich-
tung fremde Zusätze pflegen die Hypotheseis zu haben; so, um
von der Angabe abweichender Versionen in anderen Dichtungen
zu schweigen, namentlich eine mehr oder minder ausführliche
Erzählung der Ereignisse, welche vor den Zeitpunkt, mit dem
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bilden; natürlich ist man bei Abfassung derselben darauf bedacht,
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. [242]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/256>, abgerufen am 04.03.2025.
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