Der hundert und vierte Brief von Herrn Lovelace an Fräulein Clarissa Harlowe.
Montags, den 7ten Aug.
So wenig ich auch Ursache habe, ein geneigtes Ohr oder ein vergebendes Herz bey Jhnen für mich zu erwarten: so kann ich mich doch nicht entbrechen, noch einmal an Sie zu schreiben; wel- ches ein Zudringen ist, das eher zu verzeihen seyn wird, als ein Besuch seyn würde; um Sie zu er- suchen, daß Sie mich in den Stand setzen, die Beleidigungen, welche Jhnen von mir widerfah- ren sind, so weit es möglich ist, auszusöhnen und wieder gut zu machen.
Jhre englischreine Tugend und mein erwach- tes Gewissen sind beständige Zeugnisse Jhrer er- habenen Verdienste und meiner abscheulichen Niederträchtigkeit: allein Jhre Vergebung wird mir eine ewige Verbindlichkeit gegen Sie aufle- gen - - Vergeben Sie mir denn, mein liebstes Leben, mein irdisches Gut und sichtbarer Anker meiner künstigen Hoffnung! Wie Sie selbst; da Sie glauben, etwas an sich zu haben, weswegen Jhnen Vergebung nöthig ist; wie Sie selbst hof- fen, Verzeihung zu erlangen: so vergeben Sie auch mir, und erklären sich geneigt, unter Jhuen
beliebi-
Der hundert und vierte Brief von Herrn Lovelace an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.
Montags, den 7ten Aug.
So wenig ich auch Urſache habe, ein geneigtes Ohr oder ein vergebendes Herz bey Jhnen fuͤr mich zu erwarten: ſo kann ich mich doch nicht entbrechen, noch einmal an Sie zu ſchreiben; wel- ches ein Zudringen iſt, das eher zu verzeihen ſeyn wird, als ein Beſuch ſeyn wuͤrde; um Sie zu er- ſuchen, daß Sie mich in den Stand ſetzen, die Beleidigungen, welche Jhnen von mir widerfah- ren ſind, ſo weit es moͤglich iſt, auszuſoͤhnen und wieder gut zu machen.
Jhre engliſchreine Tugend und mein erwach- tes Gewiſſen ſind beſtaͤndige Zeugniſſe Jhrer er- habenen Verdienſte und meiner abſcheulichen Niedertraͤchtigkeit: allein Jhre Vergebung wird mir eine ewige Verbindlichkeit gegen Sie aufle- gen ‒ ‒ Vergeben Sie mir denn, mein liebſtes Leben, mein irdiſches Gut und ſichtbarer Anker meiner kuͤnſtigen Hoffnung! Wie Sie ſelbſt; da Sie glauben, etwas an ſich zu haben, weswegen Jhnen Vergebung noͤthig iſt; wie Sie ſelbſt hof- fen, Verzeihung zu erlangen: ſo vergeben Sie auch mir, und erklaͤren ſich geneigt, unter Jhuen
beliebi-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0718"n="712"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#fr">Der hundert und vierte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hirendition="#fr">Herrn Lovelace an Fraͤulein Clariſſa<lb/>
Harlowe.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Montags, den 7ten Aug.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">S</hi>o wenig ich auch Urſache habe, ein geneigtes<lb/>
Ohr oder ein vergebendes Herz bey Jhnen<lb/>
fuͤr mich zu erwarten: ſo kann ich mich doch nicht<lb/>
entbrechen, noch einmal an Sie zu ſchreiben; wel-<lb/>
ches ein Zudringen iſt, das eher zu verzeihen ſeyn<lb/>
wird, als ein Beſuch ſeyn wuͤrde; um Sie zu er-<lb/>ſuchen, daß Sie mich in den Stand ſetzen, die<lb/>
Beleidigungen, welche Jhnen von mir widerfah-<lb/>
ren ſind, ſo weit es moͤglich iſt, auszuſoͤhnen und<lb/>
wieder gut zu machen.</p><lb/><p>Jhre engliſchreine Tugend und mein erwach-<lb/>
tes Gewiſſen ſind beſtaͤndige Zeugniſſe Jhrer er-<lb/>
habenen Verdienſte und meiner abſcheulichen<lb/>
Niedertraͤchtigkeit: allein Jhre Vergebung wird<lb/>
mir eine ewige Verbindlichkeit gegen Sie aufle-<lb/>
gen ‒‒ Vergeben Sie mir denn, mein liebſtes<lb/>
Leben, mein irdiſches Gut und ſichtbarer Anker<lb/>
meiner kuͤnſtigen Hoffnung! Wie Sie ſelbſt; da<lb/>
Sie glauben, etwas an ſich zu haben, weswegen<lb/>
Jhnen Vergebung noͤthig iſt; wie Sie ſelbſt hof-<lb/>
fen, Verzeihung zu erlangen: ſo vergeben Sie<lb/>
auch mir, und erklaͤren ſich geneigt, unter Jhuen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">beliebi-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[712/0718]
Der hundert und vierte Brief
von
Herrn Lovelace an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.
Montags, den 7ten Aug.
So wenig ich auch Urſache habe, ein geneigtes
Ohr oder ein vergebendes Herz bey Jhnen
fuͤr mich zu erwarten: ſo kann ich mich doch nicht
entbrechen, noch einmal an Sie zu ſchreiben; wel-
ches ein Zudringen iſt, das eher zu verzeihen ſeyn
wird, als ein Beſuch ſeyn wuͤrde; um Sie zu er-
ſuchen, daß Sie mich in den Stand ſetzen, die
Beleidigungen, welche Jhnen von mir widerfah-
ren ſind, ſo weit es moͤglich iſt, auszuſoͤhnen und
wieder gut zu machen.
Jhre engliſchreine Tugend und mein erwach-
tes Gewiſſen ſind beſtaͤndige Zeugniſſe Jhrer er-
habenen Verdienſte und meiner abſcheulichen
Niedertraͤchtigkeit: allein Jhre Vergebung wird
mir eine ewige Verbindlichkeit gegen Sie aufle-
gen ‒ ‒ Vergeben Sie mir denn, mein liebſtes
Leben, mein irdiſches Gut und ſichtbarer Anker
meiner kuͤnſtigen Hoffnung! Wie Sie ſelbſt; da
Sie glauben, etwas an ſich zu haben, weswegen
Jhnen Vergebung noͤthig iſt; wie Sie ſelbſt hof-
fen, Verzeihung zu erlangen: ſo vergeben Sie
auch mir, und erklaͤren ſich geneigt, unter Jhuen
beliebi-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/718>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.