Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



denke, sie muß in deinem Herzen wenigstens eine
vorübergehende, wo nicht fortdaurende, Regung
des Gewissens erwecken. Du rühmest dich mit
deiner Aufrichtigkeit. Laß dieß die Probe davon
seyn, und versuche, ob du bey einem so wichtigen
Jnhalt, wozu die Veranlassung von dir selbst ge-
geben ist, ernsthaft seyn kannst.

Geistliche Betrachtung.

O daß mein Kummer völlig gewogen und
mein Leiden zugleich in die Wagschale
geleget würde!
Denn nun würde es schwerer seyn, als der
Sand am Meer. Daher werden mei-
ne Worte verschlungen.
Denn die Pfeile des Allmächtigen stecken in
mir, und das Gift von diesen dörret mei-
nen Geist aus. Die Schrecken von
Gott stellen sich wider mich, als ein Heer
in seiner Schlachtordnung.
Wenn ich mich niederlege: so sage ich:
Wann werde ich wieder aufstehen?
Wann wird die Nacht vorüber seyn?
Und ich werde hin und her geworfen,
bis der Tag anbricht.
Meine Tage sind schneller, als ein Weber-
spul, und verstreichen, daß keine Hoff-
nung mehr übrig ist - - Mein Auge
wird nicht mehr Gutes sehen.
Warum
K k 2



denke, ſie muß in deinem Herzen wenigſtens eine
voruͤbergehende, wo nicht fortdaurende, Regung
des Gewiſſens erwecken. Du ruͤhmeſt dich mit
deiner Aufrichtigkeit. Laß dieß die Probe davon
ſeyn, und verſuche, ob du bey einem ſo wichtigen
Jnhalt, wozu die Veranlaſſung von dir ſelbſt ge-
geben iſt, ernſthaft ſeyn kannſt.

Geiſtliche Betrachtung.

O daß mein Kummer voͤllig gewogen und
mein Leiden zugleich in die Wagſchale
geleget wuͤrde!
Denn nun wuͤrde es ſchwerer ſeyn, als der
Sand am Meer. Daher werden mei-
ne Worte verſchlungen.
Denn die Pfeile des Allmaͤchtigen ſtecken in
mir, und das Gift von dieſen doͤrret mei-
nen Geiſt aus. Die Schrecken von
Gott ſtellen ſich wider mich, als ein Heer
in ſeiner Schlachtordnung.
Wenn ich mich niederlege: ſo ſage ich:
Wann werde ich wieder aufſtehen?
Wann wird die Nacht voruͤber ſeyn?
Und ich werde hin und her geworfen,
bis der Tag anbricht.
Meine Tage ſind ſchneller, als ein Weber-
ſpul, und verſtreichen, daß keine Hoff-
nung mehr uͤbrig iſt ‒ ‒ Mein Auge
wird nicht mehr Gutes ſehen.
Warum
K k 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0521" n="515"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
denke, &#x017F;ie muß in deinem Herzen wenig&#x017F;tens eine<lb/>
voru&#x0364;bergehende, wo nicht fortdaurende, Regung<lb/>
des Gewi&#x017F;&#x017F;ens erwecken. Du ru&#x0364;hme&#x017F;t dich mit<lb/>
deiner Aufrichtigkeit. Laß dieß die Probe davon<lb/>
&#x017F;eyn, und ver&#x017F;uche, ob du bey einem &#x017F;o wichtigen<lb/>
Jnhalt, wozu die Veranla&#x017F;&#x017F;ung von dir &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/>
geben i&#x017F;t, ern&#x017F;thaft &#x017F;eyn kann&#x017F;t.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Gei&#x017F;tliche Betrachtung.</hi> </head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#c">Sonnab. den 15ten Jul.</hi> </dateline><lb/>
          <list>
            <item> <hi rendition="#fr">O daß mein Kummer vo&#x0364;llig gewogen und<lb/>
mein Leiden zugleich in die Wag&#x017F;chale<lb/>
geleget wu&#x0364;rde!</hi> </item><lb/>
            <item> <hi rendition="#fr">Denn nun wu&#x0364;rde es &#x017F;chwerer &#x017F;eyn, als der<lb/>
Sand am Meer. Daher werden mei-<lb/>
ne Worte ver&#x017F;chlungen.</hi> </item><lb/>
            <item> <hi rendition="#fr">Denn die Pfeile des Allma&#x0364;chtigen &#x017F;tecken in<lb/>
mir, und das Gift von die&#x017F;en do&#x0364;rret mei-<lb/>
nen Gei&#x017F;t aus. Die Schrecken von<lb/>
Gott &#x017F;tellen &#x017F;ich wider mich, als ein Heer<lb/>
in &#x017F;einer Schlachtordnung.</hi> </item><lb/>
            <item> <hi rendition="#fr">Wenn ich mich niederlege: &#x017F;o &#x017F;age ich:<lb/>
Wann werde ich wieder auf&#x017F;tehen?<lb/>
Wann wird die Nacht voru&#x0364;ber &#x017F;eyn?<lb/>
Und ich werde hin und her geworfen,<lb/>
bis der Tag anbricht.</hi> </item><lb/>
            <item> <hi rendition="#fr">Meine Tage &#x017F;ind &#x017F;chneller, als ein Weber-<lb/>
&#x017F;pul, und ver&#x017F;treichen, daß keine Hoff-<lb/>
nung mehr u&#x0364;brig i&#x017F;t &#x2012; &#x2012; Mein Auge<lb/>
wird nicht mehr Gutes &#x017F;ehen.</hi> </item>
          </list><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">K k 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Warum</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[515/0521] denke, ſie muß in deinem Herzen wenigſtens eine voruͤbergehende, wo nicht fortdaurende, Regung des Gewiſſens erwecken. Du ruͤhmeſt dich mit deiner Aufrichtigkeit. Laß dieß die Probe davon ſeyn, und verſuche, ob du bey einem ſo wichtigen Jnhalt, wozu die Veranlaſſung von dir ſelbſt ge- geben iſt, ernſthaft ſeyn kannſt. Geiſtliche Betrachtung. Sonnab. den 15ten Jul. O daß mein Kummer voͤllig gewogen und mein Leiden zugleich in die Wagſchale geleget wuͤrde! Denn nun wuͤrde es ſchwerer ſeyn, als der Sand am Meer. Daher werden mei- ne Worte verſchlungen. Denn die Pfeile des Allmaͤchtigen ſtecken in mir, und das Gift von dieſen doͤrret mei- nen Geiſt aus. Die Schrecken von Gott ſtellen ſich wider mich, als ein Heer in ſeiner Schlachtordnung. Wenn ich mich niederlege: ſo ſage ich: Wann werde ich wieder aufſtehen? Wann wird die Nacht voruͤber ſeyn? Und ich werde hin und her geworfen, bis der Tag anbricht. Meine Tage ſind ſchneller, als ein Weber- ſpul, und verſtreichen, daß keine Hoff- nung mehr uͤbrig iſt ‒ ‒ Mein Auge wird nicht mehr Gutes ſehen. Warum K k 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/521
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/521>, abgerufen am 21.12.2024.