Der funfzigste Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Dienstags frühe den 20 Jun.
Nunmehr, Bruder, stehen wir auf einem an- dern Fuße mit einander. Diese Schöne will mich nicht gut haben. Sie rechtfertigt itzo alle meine Ränke durch ihr eignes Bey- spiel.
Du mußt im höchsten Grade parteyisch seyn: wo du mir nun Vorwürfe machst, daß ich meine vorigen Anschläge wieder ins Werk zu richten suche; da ich in dem Falle nur ihrem Leitfaden folgen werde. Jch mache keine gezwungene Deutung von ihrem Thun, unter diesen Umstän- den, daß ich etwa eine böse Sache oder eine böse Absicht zu rechtfertigen suchen sollte. Es ist wahr, der Wolf brauchte nur einen keinen Vor- wand, wenn er dem Lamme etwas anhaben woll- te: aber so ist es itzo nicht mit mir.
Denn, hättest du es wohl geglaubt? da sie sich der Dorcas mitleidiges Gemüth, und einige feurige Ausdrückungen, welche die weichherzige Magd gegen die Grausamkeit der Mannsperso- nen ausgestossen, zu Nutze machet, und wünschet, daß es in ihrer Gewalt stehen möchte, ihr zu die- nen: so hat sie ihr die folgende Handschrift ge- geben, und mit ihrem Geburtsnamen unterschrie-
ben;
Der funfzigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Dienſtags fruͤhe den 20 Jun.
Nunmehr, Bruder, ſtehen wir auf einem an- dern Fuße mit einander. Dieſe Schoͤne will mich nicht gut haben. Sie rechtfertigt itzo alle meine Raͤnke durch ihr eignes Bey- ſpiel.
Du mußt im hoͤchſten Grade parteyiſch ſeyn: wo du mir nun Vorwuͤrfe machſt, daß ich meine vorigen Anſchlaͤge wieder ins Werk zu richten ſuche; da ich in dem Falle nur ihrem Leitfaden folgen werde. Jch mache keine gezwungene Deutung von ihrem Thun, unter dieſen Umſtaͤn- den, daß ich etwa eine boͤſe Sache oder eine boͤſe Abſicht zu rechtfertigen ſuchen ſollte. Es iſt wahr, der Wolf brauchte nur einen keinen Vor- wand, wenn er dem Lamme etwas anhaben woll- te: aber ſo iſt es itzo nicht mit mir.
Denn, haͤtteſt du es wohl geglaubt? da ſie ſich der Dorcas mitleidiges Gemuͤth, und einige feurige Ausdruͤckungen, welche die weichherzige Magd gegen die Grauſamkeit der Mannsperſo- nen ausgeſtoſſen, zu Nutze machet, und wuͤnſchet, daß es in ihrer Gewalt ſtehen moͤchte, ihr zu die- nen: ſo hat ſie ihr die folgende Handſchrift ge- geben, und mit ihrem Geburtsnamen unterſchrie-
ben;
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0712"n="706"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#fr">Der funfzigſte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hirendition="#fr">Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Dienſtags fruͤhe den 20 Jun.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">N</hi>unmehr, Bruder, ſtehen wir auf einem an-<lb/>
dern Fuße mit einander. Dieſe Schoͤne<lb/>
will <hirendition="#fr">mich nicht gut haben.</hi> Sie rechtfertigt<lb/>
itzo alle meine Raͤnke durch ihr eignes Bey-<lb/>ſpiel.</p><lb/><p>Du mußt im hoͤchſten Grade parteyiſch ſeyn:<lb/>
wo du mir nun Vorwuͤrfe machſt, daß ich meine<lb/>
vorigen Anſchlaͤge wieder ins Werk zu richten<lb/>ſuche; da ich in dem Falle nur ihrem Leitfaden<lb/>
folgen werde. Jch mache keine gezwungene<lb/>
Deutung von ihrem Thun, unter dieſen Umſtaͤn-<lb/>
den, daß ich etwa eine boͤſe Sache oder eine boͤſe<lb/>
Abſicht zu rechtfertigen ſuchen ſollte. Es iſt<lb/>
wahr, der Wolf brauchte nur einen keinen Vor-<lb/>
wand, wenn er dem Lamme etwas anhaben woll-<lb/>
te: aber ſo iſt es itzo nicht mit mir.</p><lb/><p>Denn, haͤtteſt du es wohl geglaubt? da ſie<lb/>ſich der Dorcas mitleidiges Gemuͤth, und einige<lb/>
feurige Ausdruͤckungen, welche die weichherzige<lb/>
Magd gegen die Grauſamkeit der Mannsperſo-<lb/>
nen ausgeſtoſſen, zu Nutze machet, und wuͤnſchet,<lb/>
daß es in ihrer Gewalt ſtehen moͤchte, ihr zu die-<lb/>
nen: ſo hat ſie ihr die folgende Handſchrift ge-<lb/>
geben, und mit ihrem Geburtsnamen unterſchrie-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ben;</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[706/0712]
Der funfzigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Dienſtags fruͤhe den 20 Jun.
Nunmehr, Bruder, ſtehen wir auf einem an-
dern Fuße mit einander. Dieſe Schoͤne
will mich nicht gut haben. Sie rechtfertigt
itzo alle meine Raͤnke durch ihr eignes Bey-
ſpiel.
Du mußt im hoͤchſten Grade parteyiſch ſeyn:
wo du mir nun Vorwuͤrfe machſt, daß ich meine
vorigen Anſchlaͤge wieder ins Werk zu richten
ſuche; da ich in dem Falle nur ihrem Leitfaden
folgen werde. Jch mache keine gezwungene
Deutung von ihrem Thun, unter dieſen Umſtaͤn-
den, daß ich etwa eine boͤſe Sache oder eine boͤſe
Abſicht zu rechtfertigen ſuchen ſollte. Es iſt
wahr, der Wolf brauchte nur einen keinen Vor-
wand, wenn er dem Lamme etwas anhaben woll-
te: aber ſo iſt es itzo nicht mit mir.
Denn, haͤtteſt du es wohl geglaubt? da ſie
ſich der Dorcas mitleidiges Gemuͤth, und einige
feurige Ausdruͤckungen, welche die weichherzige
Magd gegen die Grauſamkeit der Mannsperſo-
nen ausgeſtoſſen, zu Nutze machet, und wuͤnſchet,
daß es in ihrer Gewalt ſtehen moͤchte, ihr zu die-
nen: ſo hat ſie ihr die folgende Handſchrift ge-
geben, und mit ihrem Geburtsnamen unterſchrie-
ben;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/712>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.