Wäre die Glückseligkeit der elendesten und ver- worfensten Person von der Welt, die ich niemals gesehen, niemals gekannt, und von der ich niemals gehört hätte, so vollkommen in mei- ner Gewalt gewesen, als meine Glückseligkeit in ihren Händen gestanden: so würde mein gutes Herz mir Flügel gemacht haben, einer so elenden und bedrängten Person zu Hülfe zu kommen - - Mit was für Vergnügen würde ich das nieder- geschlagene Haupt aufgerichtet, und das verzagte Herz getröstet und gestärket haben! - - Wer wird nun aber mit dem armen Mägdchen, das die Zahl der Elenden, statt sie zu vermindern, vermehret hat, wohl Mitleiden haben!
Das X Blatt.
Komm, bringe mich an einen Ort, Wo ich im Denken mich verliere, Daß ich in stetem Schlummer dort Des schnöden Lebens Rest vollführe, Um mich und jenen Tag der Schuld Bey mir in stete Nacht zu senken - - O grausam schrecklichs Angedenken! Wie trüg ich dich wohl mit Geduld?
- - O deine That Befleckt das Antlitz keuscher Tugend. Der Liebe Schmuck bey reiner Jugend, Die Rose, findet nicht mehr statt. Denn diese unschuldsvolle Pracht Hast du zu Rauch und Dampf gemacht.
Der Tod kann nur die Bosheit schrecken, Der Unschuld ist er Larvenspiel: Dieß kann bey Kindern Furcht erwecken, Bey Klügern heißt es nicht so viel; Sieht sie den Tod nur ohne Masque stehn, So wird sie ihn als Freund erscheinen sehn.
So
Fünfter Theil. R r
Das IX Blatt.
Waͤre die Gluͤckſeligkeit der elendeſten und ver- worfenſten Perſon von der Welt, die ich niemals geſehen, niemals gekannt, und von der ich niemals gehoͤrt haͤtte, ſo vollkommen in mei- ner Gewalt geweſen, als meine Gluͤckſeligkeit in ihren Haͤnden geſtanden: ſo wuͤrde mein gutes Herz mir Fluͤgel gemacht haben, einer ſo elenden und bedraͤngten Perſon zu Huͤlfe zu kommen ‒ ‒ Mit was fuͤr Vergnuͤgen wuͤrde ich das nieder- geſchlagene Haupt aufgerichtet, und das verzagte Herz getroͤſtet und geſtaͤrket haben! ‒ ‒ Wer wird nun aber mit dem armen Maͤgdchen, das die Zahl der Elenden, ſtatt ſie zu vermindern, vermehret hat, wohl Mitleiden haben!
Das X Blatt.
Komm, bringe mich an einen Ort, Wo ich im Denken mich verliere, Daß ich in ſtetem Schlummer dort Des ſchnoͤden Lebens Reſt vollfuͤhre, Um mich und jenen Tag der Schuld Bey mir in ſtete Nacht zu ſenken ‒ ‒ O grauſam ſchrecklichs Angedenken! Wie truͤg ich dich wohl mit Geduld?
‒ ‒ O deine That Befleckt das Antlitz keuſcher Tugend. Der Liebe Schmuck bey reiner Jugend, Die Roſe, findet nicht mehr ſtatt. Denn dieſe unſchuldsvolle Pracht Haſt du zu Rauch und Dampf gemacht.
Der Tod kann nur die Bosheit ſchrecken, Der Unſchuld iſt er Larvenſpiel: Dieß kann bey Kindern Furcht erwecken, Bey Kluͤgern heißt es nicht ſo viel; Sieht ſie den Tod nur ohne Masque ſtehn, So wird ſie ihn als Freund erſcheinen ſehn.
So
Fuͤnfter Theil. R r
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Das IX Blatt.
Waͤre die Gluͤckſeligkeit der elendeſten und ver-
worfenſten Perſon von der Welt, die ich
niemals geſehen, niemals gekannt, und von der
ich niemals gehoͤrt haͤtte, ſo vollkommen in mei-
ner Gewalt geweſen, als meine Gluͤckſeligkeit in
ihren Haͤnden geſtanden: ſo wuͤrde mein gutes
Herz mir Fluͤgel gemacht haben, einer ſo elenden
und bedraͤngten Perſon zu Huͤlfe zu kommen ‒ ‒
Mit was fuͤr Vergnuͤgen wuͤrde ich das nieder-
geſchlagene Haupt aufgerichtet, und das verzagte
Herz getroͤſtet und geſtaͤrket haben! ‒ ‒ Wer
wird nun aber mit dem armen Maͤgdchen, das
die Zahl der Elenden, ſtatt ſie zu vermindern,
vermehret hat, wohl Mitleiden haben!
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Komm, bringe mich an einen Ort,
Wo ich im Denken mich verliere,
Daß ich in ſtetem Schlummer dort
Des ſchnoͤden Lebens Reſt vollfuͤhre,
Um mich und jenen Tag der Schuld
Bey mir in ſtete Nacht zu ſenken ‒ ‒
O grauſam ſchrecklichs Angedenken!
Wie truͤg ich dich wohl mit Geduld?
‒ ‒ O deine That
Befleckt das Antlitz keuſcher Tugend.
Der Liebe Schmuck bey reiner Jugend,
Die Roſe, findet nicht mehr ſtatt.
Denn dieſe unſchuldsvolle Pracht
Haſt du zu Rauch und Dampf gemacht.
Der Tod kann nur die Bosheit ſchrecken,
Der Unſchuld iſt er Larvenſpiel:
Dieß kann bey Kindern Furcht erwecken,
Bey Kluͤgern heißt es nicht ſo viel;
Sieht ſie den Tod nur ohne Masque ſtehn,
So wird ſie ihn als Freund erſcheinen ſehn.
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Fuͤnfter Theil. R r
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/631>, abgerufen am 21.12.2024.
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