Der erste Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Sonntag Abends den 7 May.
Sie werden sich nicht verwundern, daß der Unmuth, der mein Hertz erfüllet hat, auch meine Schreib-Art verstellet; wenn sie nur einen Gedancken auf meine unglücklichen Um- stände richten, und überlegen, wie vieles ich mir gefallen lassen muß, das meinem Hochmuth uner- träglich ist. Der bewegliche Brief meines Vetters macht mir alles dieses noch empfindlicher. Jndes- sen gestehe ich, daß es von mir artiger gehandelt wä- re, wenn ich Jhnen das betrübteste von meinen Umständen zu verbergen suchte, weil Sie ein so zärtliches und edles Mitleyden mit mir haben, und das Klagen mir doch die Last, die ich trage, nicht erleichtert.
Allein gegen wen kann ich mein Hertz ausschüt- ten, als gegen Sie? Der Mann, der die Ursache alles meines Unglücks ist, vermehret meinen Kum- mer: ich habe keinen Bedienten, auf dessen Treue ich mich verlassen kann, oder dem ich meine Sorge
em-
Vierter Theil. A
Clariſſa der vierte Theil.
Der erſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Sonntag Abends den 7 May.
Sie werden ſich nicht verwundern, daß der Unmuth, der mein Hertz erfuͤllet hat, auch meine Schreib-Art verſtellet; wenn ſie nur einen Gedancken auf meine ungluͤcklichen Um- ſtaͤnde richten, und uͤberlegen, wie vieles ich mir gefallen laſſen muß, das meinem Hochmuth uner- traͤglich iſt. Der bewegliche Brief meines Vetters macht mir alles dieſes noch empfindlicher. Jndeſ- ſen geſtehe ich, daß es von mir artiger gehandelt waͤ- re, wenn ich Jhnen das betruͤbteſte von meinen Umſtaͤnden zu verbergen ſuchte, weil Sie ein ſo zaͤrtliches und edles Mitleyden mit mir haben, und das Klagen mir doch die Laſt, die ich trage, nicht erleichtert.
Allein gegen wen kann ich mein Hertz ausſchuͤt- ten, als gegen Sie? Der Mann, der die Urſache alles meines Ungluͤcks iſt, vermehret meinen Kum- mer: ich habe keinen Bedienten, auf deſſen Treue ich mich verlaſſen kann, oder dem ich meine Sorge
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Vierter Theil. A
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[[1]/0007]
Clariſſa
der vierte Theil.
Der erſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Sonntag Abends den 7 May.
Sie werden ſich nicht verwundern, daß der
Unmuth, der mein Hertz erfuͤllet hat, auch
meine Schreib-Art verſtellet; wenn ſie
nur einen Gedancken auf meine ungluͤcklichen Um-
ſtaͤnde richten, und uͤberlegen, wie vieles ich mir
gefallen laſſen muß, das meinem Hochmuth uner-
traͤglich iſt. Der bewegliche Brief meines Vetters
macht mir alles dieſes noch empfindlicher. Jndeſ-
ſen geſtehe ich, daß es von mir artiger gehandelt waͤ-
re, wenn ich Jhnen das betruͤbteſte von meinen
Umſtaͤnden zu verbergen ſuchte, weil Sie ein ſo
zaͤrtliches und edles Mitleyden mit mir haben, und
das Klagen mir doch die Laſt, die ich trage, nicht
erleichtert.
Allein gegen wen kann ich mein Hertz ausſchuͤt-
ten, als gegen Sie? Der Mann, der die Urſache
alles meines Ungluͤcks iſt, vermehret meinen Kum-
mer: ich habe keinen Bedienten, auf deſſen Treue
ich mich verlaſſen kann, oder dem ich meine Sorge
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/7>, abgerufen am 21.12.2024.
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