selbst verächtlich vorkommen. Der Tod würde ihr ein geringeres Uebel zu seyn scheinen, als eine solche Erniedrigung.
Dieses wenige, das ich überhaupt gemeldet habe, wird genug seyn, mich zu entschuldigen, wenn ich nicht umständlicher in meiner Erzählung bin. Die gantze Unterredung bey dem Gast-Gebot bestand in nichts anders, als in schmeichelnden Anklagen, und in so genannten witzigen Verantwortungen.
Der sieben und sechszigste Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Montags um Mitternacht.
Ein wunderlicher Zufall setzt mich in die äusserste Verwirrung. Jetzt eben geht die Frau Sin- clair, wie ich glaube, im Unwillen weg, weil ich ihr eine Bitte abgeschlagen habe. Sie stellete mir vor: daß ihr Haus jetzt gantz voll wäre, weil sie die Frem- den ihrer beyden Basen, nebst ihren und der Jungfer Partington Bedienten beherbergen müßte: sie bat daher, daß ich der Jungfer Partington erlauben möchte, bey mir zu schlafen.
Es konnte vielleicht alles gantz richtig seyn, und es lies sehr unfreundlich, eine solche Bitte abzuschla- gen. Allein es fiel mir auf einmal bey, daß ich niemand in dem gantzen Hause kennete: daß ich nicht einmal eine Bedientin hätte, die ich mein
eigen
ſelbſt veraͤchtlich vorkommen. Der Tod wuͤrde ihr ein geringeres Uebel zu ſeyn ſcheinen, als eine ſolche Erniedrigung.
Dieſes wenige, das ich uͤberhaupt gemeldet habe, wird genug ſeyn, mich zu entſchuldigen, wenn ich nicht umſtaͤndlicher in meiner Erzaͤhlung bin. Die gantze Unterredung bey dem Gaſt-Gebot beſtand in nichts anders, als in ſchmeichelnden Anklagen, und in ſo genannten witzigen Verantwortungen.
Der ſieben und ſechszigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Montags um Mitternacht.
Ein wunderlicher Zufall ſetzt mich in die aͤuſſerſte Verwirrung. Jetzt eben geht die Frau Sin- clair, wie ich glaube, im Unwillen weg, weil ich ihr eine Bitte abgeſchlagen habe. Sie ſtellete mir vor: daß ihr Haus jetzt gantz voll waͤre, weil ſie die Frem- den ihrer beyden Baſen, nebſt ihren und der Jungfer Partington Bedienten beherbergen muͤßte: ſie bat daher, daß ich der Jungfer Partington erlauben moͤchte, bey mir zu ſchlafen.
Es konnte vielleicht alles gantz richtig ſeyn, und es lies ſehr unfreundlich, eine ſolche Bitte abzuſchla- gen. Allein es fiel mir auf einmal bey, daß ich niemand in dem gantzen Hauſe kennete: daß ich nicht einmal eine Bedientin haͤtte, die ich mein
eigen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0520"n="506"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>ſelbſt veraͤchtlich vorkommen. Der Tod wuͤrde<lb/>
ihr ein geringeres Uebel zu ſeyn ſcheinen, als eine<lb/>ſolche Erniedrigung.</p><lb/><p>Dieſes wenige, das ich uͤberhaupt gemeldet habe,<lb/>
wird genug ſeyn, mich zu entſchuldigen, wenn ich<lb/>
nicht umſtaͤndlicher in meiner Erzaͤhlung bin. Die<lb/>
gantze Unterredung bey dem Gaſt-Gebot beſtand in<lb/>
nichts anders, als in ſchmeichelnden Anklagen, und<lb/>
in ſo genannten witzigen Verantwortungen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#fr">Der ſieben und ſechszigſte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hirendition="#fr">Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein<lb/>
Howe.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Montags um Mitternacht.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>in wunderlicher Zufall ſetzt mich in die aͤuſſerſte<lb/>
Verwirrung. Jetzt eben geht die Frau <hirendition="#fr">Sin-<lb/>
clair,</hi> wie ich glaube, im Unwillen weg, weil ich ihr<lb/>
eine Bitte abgeſchlagen habe. Sie ſtellete mir vor:<lb/>
daß ihr Haus jetzt gantz voll waͤre, weil ſie die Frem-<lb/>
den ihrer beyden Baſen, nebſt ihren und der Jungfer<lb/><hirendition="#fr">Partington</hi> Bedienten beherbergen muͤßte: ſie bat<lb/>
daher, daß ich der Jungfer <hirendition="#fr">Partington</hi> erlauben<lb/>
moͤchte, bey mir zu ſchlafen.</p><lb/><p>Es konnte vielleicht alles gantz richtig ſeyn, und<lb/>
es lies ſehr unfreundlich, eine ſolche Bitte abzuſchla-<lb/>
gen. Allein es fiel mir auf einmal bey, daß ich<lb/>
niemand in dem gantzen Hauſe kennete: daß ich<lb/>
nicht einmal eine Bedientin haͤtte, die ich mein<lb/><fwplace="bottom"type="catch">eigen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[506/0520]
ſelbſt veraͤchtlich vorkommen. Der Tod wuͤrde
ihr ein geringeres Uebel zu ſeyn ſcheinen, als eine
ſolche Erniedrigung.
Dieſes wenige, das ich uͤberhaupt gemeldet habe,
wird genug ſeyn, mich zu entſchuldigen, wenn ich
nicht umſtaͤndlicher in meiner Erzaͤhlung bin. Die
gantze Unterredung bey dem Gaſt-Gebot beſtand in
nichts anders, als in ſchmeichelnden Anklagen, und
in ſo genannten witzigen Verantwortungen.
Der ſieben und ſechszigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Montags um Mitternacht.
Ein wunderlicher Zufall ſetzt mich in die aͤuſſerſte
Verwirrung. Jetzt eben geht die Frau Sin-
clair, wie ich glaube, im Unwillen weg, weil ich ihr
eine Bitte abgeſchlagen habe. Sie ſtellete mir vor:
daß ihr Haus jetzt gantz voll waͤre, weil ſie die Frem-
den ihrer beyden Baſen, nebſt ihren und der Jungfer
Partington Bedienten beherbergen muͤßte: ſie bat
daher, daß ich der Jungfer Partington erlauben
moͤchte, bey mir zu ſchlafen.
Es konnte vielleicht alles gantz richtig ſeyn, und
es lies ſehr unfreundlich, eine ſolche Bitte abzuſchla-
gen. Allein es fiel mir auf einmal bey, daß ich
niemand in dem gantzen Hauſe kennete: daß ich
nicht einmal eine Bedientin haͤtte, die ich mein
eigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/520>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.