Der vier und sechszigste Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Freytags de 28 April.
Herr Lovelace ist schon von seiner Reise zurück gekommen, und enschuldiget sich mit der Furcht vor dem Anschlage meines Bruders. Jch mußte dieses nothwendig für einen Bruch seines Versprechens halten, nachdem er von den Leuten in dem Hause nichts zu befürchten hatte, und gewiß wußte, daß ich mich nicht aus dem Hause wagen würde. Es ist mir unerträglich, wenn man nie- derträchtig mit mir umgehet, und ich verlangte mit mercklichem Unwillen, daß er sogleich nach der Graf- schaft Berck reisen, und seine Fräulein Base ver- sprochener massen abhohlen und mir zur Gesellschaft mitbringen möchte.
Allein, (sagte er) mein einziges Leben, warum wollen sie mich aus ihrer Gesellschaft verbannen? Jch kann sie ohnmöglich auf so lange Zeit verlassen, als sie es zu erwarten scheinen. Jch bin nicht weiter als bis nach Edgware gereiset, und nur zwey Stunden dort geblieben, weil ich fürchtete, es könn- te ein Unglück vorgehen. Wer kann über seine Furcht herrschen, wenn alles, was uns theuer seyn kann, auf dem Spiele stehet? Sie können das Schrei- ben an ihre Freunde am besten versparen, bis sie mich durch den allerschönsten Segen glücklich gemacht haben: alsdenn werde ich ein Recht haben, ihrem
Bit-
Der vier und ſechszigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Freytags de 28 April.
Herr Lovelace iſt ſchon von ſeiner Reiſe zuruͤck gekommen, und enſchuldiget ſich mit der Furcht vor dem Anſchlage meines Bruders. Jch mußte dieſes nothwendig fuͤr einen Bruch ſeines Verſprechens halten, nachdem er von den Leuten in dem Hauſe nichts zu befuͤrchten hatte, und gewiß wußte, daß ich mich nicht aus dem Hauſe wagen wuͤrde. Es iſt mir unertraͤglich, wenn man nie- dertraͤchtig mit mir umgehet, und ich verlangte mit mercklichem Unwillen, daß er ſogleich nach der Graf- ſchaft Berck reiſen, und ſeine Fraͤulein Baſe ver- ſprochener maſſen abhohlen und mir zur Geſellſchaft mitbringen moͤchte.
Allein, (ſagte er) mein einziges Leben, warum wollen ſie mich aus ihrer Geſellſchaft verbannen? Jch kann ſie ohnmoͤglich auf ſo lange Zeit verlaſſen, als ſie es zu erwarten ſcheinen. Jch bin nicht weiter als bis nach Edgware gereiſet, und nur zwey Stunden dort geblieben, weil ich fuͤrchtete, es koͤnn- te ein Ungluͤck vorgehen. Wer kann uͤber ſeine Furcht herrſchen, wenn alles, was uns theuer ſeyn kann, auf dem Spiele ſtehet? Sie koͤnnen das Schrei- ben an ihre Freunde am beſten verſparen, bis ſie mich durch den allerſchoͤnſten Segen gluͤcklich gemacht haben: alsdenn werde ich ein Recht haben, ihrem
Bit-
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Der vier und ſechszigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Freytags de 28 April.
Herr Lovelace iſt ſchon von ſeiner Reiſe zuruͤck
gekommen, und enſchuldiget ſich mit der
Furcht vor dem Anſchlage meines Bruders. Jch
mußte dieſes nothwendig fuͤr einen Bruch ſeines
Verſprechens halten, nachdem er von den Leuten in
dem Hauſe nichts zu befuͤrchten hatte, und gewiß
wußte, daß ich mich nicht aus dem Hauſe wagen
wuͤrde. Es iſt mir unertraͤglich, wenn man nie-
dertraͤchtig mit mir umgehet, und ich verlangte mit
mercklichem Unwillen, daß er ſogleich nach der Graf-
ſchaft Berck reiſen, und ſeine Fraͤulein Baſe ver-
ſprochener maſſen abhohlen und mir zur Geſellſchaft
mitbringen moͤchte.
Allein, (ſagte er) mein einziges Leben, warum
wollen ſie mich aus ihrer Geſellſchaft verbannen?
Jch kann ſie ohnmoͤglich auf ſo lange Zeit verlaſſen,
als ſie es zu erwarten ſcheinen. Jch bin nicht weiter
als bis nach Edgware gereiſet, und nur zwey
Stunden dort geblieben, weil ich fuͤrchtete, es koͤnn-
te ein Ungluͤck vorgehen. Wer kann uͤber ſeine Furcht
herrſchen, wenn alles, was uns theuer ſeyn kann,
auf dem Spiele ſtehet? Sie koͤnnen das Schrei-
ben an ihre Freunde am beſten verſparen, bis ſie
mich durch den allerſchoͤnſten Segen gluͤcklich gemacht
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/489>, abgerufen am 21.11.2024.
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