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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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ciber gleich in meine Rolle geschrieben. Was für
heilsame Warnungen könnte ich den schelmischen
Mädchens geben, wenn ich wollte! Vielleicht be-
weget mich in meinem traurigen Alter der Neid zu
dem guten Wercke, ihnen einen Wegweiser aufzu-
richten, dazu ich mich aus Liebe zu der Tugend nicht
entschliesse.

Dienstags Nachmittags.

Wenn unsere Gesellschaft in London ist, so
sollt ihr mich bald nach meiner Ankunft zu sehen be-
kommen. Mein Kind befindet sich etwas besser.
Die Augen sind munterer, und die angenehme Stim-
me, die ich vor kurtzer Zeit kaum vernehmen konnte,
reitzet mich von neuem. Allein sie hat noch keine
Liebe, keine Sinnen: die Bedeutungs-vollen, und
doch so genannten unschuldigen Freyheiten, dadurch
sich andere erweichen lassen, darf man gegen sie
nicht gebrauchen. Es verdienet dieses noch mehr
Verwunderung, weil sie ihre Zuneigung zu mir
nicht leugnet, und sehr bekümmert ist: denn der
Kummer pflegt sonst das schöne Geschlecht zu erwei-
chen. Eine bekümmerte liebenswürdige Person
siehet sich nach Trost um, und will sich gern schmei-
cheln lassen. Freude und Kummer sind Hausge-
nossen. Sie lassen sich zwar nicht in einem Fenster
sehen, allein sie sind doch nie weit von einander.



Der sechszigste Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Endlich



ciber gleich in meine Rolle geſchrieben. Was fuͤr
heilſame Warnungen koͤnnte ich den ſchelmiſchen
Maͤdchens geben, wenn ich wollte! Vielleicht be-
weget mich in meinem traurigen Alter der Neid zu
dem guten Wercke, ihnen einen Wegweiſer aufzu-
richten, dazu ich mich aus Liebe zu der Tugend nicht
entſchlieſſe.

Dienſtags Nachmittags.

Wenn unſere Geſellſchaft in London iſt, ſo
ſollt ihr mich bald nach meiner Ankunft zu ſehen be-
kommen. Mein Kind befindet ſich etwas beſſer.
Die Augen ſind munterer, und die angenehme Stim-
me, die ich vor kurtzer Zeit kaum vernehmen konnte,
reitzet mich von neuem. Allein ſie hat noch keine
Liebe, keine Sinnen: die Bedeutungs-vollen, und
doch ſo genannten unſchuldigen Freyheiten, dadurch
ſich andere erweichen laſſen, darf man gegen ſie
nicht gebrauchen. Es verdienet dieſes noch mehr
Verwunderung, weil ſie ihre Zuneigung zu mir
nicht leugnet, und ſehr bekuͤmmert iſt: denn der
Kummer pflegt ſonſt das ſchoͤne Geſchlecht zu erwei-
chen. Eine bekuͤmmerte liebenswuͤrdige Perſon
ſiehet ſich nach Troſt um, und will ſich gern ſchmei-
cheln laſſen. Freude und Kummer ſind Hausge-
noſſen. Sie laſſen ſich zwar nicht in einem Fenſter
ſehen, allein ſie ſind doch nie weit von einander.



Der ſechszigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford.

Endlich
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[436/0450] ciber gleich in meine Rolle geſchrieben. Was fuͤr heilſame Warnungen koͤnnte ich den ſchelmiſchen Maͤdchens geben, wenn ich wollte! Vielleicht be- weget mich in meinem traurigen Alter der Neid zu dem guten Wercke, ihnen einen Wegweiſer aufzu- richten, dazu ich mich aus Liebe zu der Tugend nicht entſchlieſſe. Dienſtags Nachmittags. Wenn unſere Geſellſchaft in London iſt, ſo ſollt ihr mich bald nach meiner Ankunft zu ſehen be- kommen. Mein Kind befindet ſich etwas beſſer. Die Augen ſind munterer, und die angenehme Stim- me, die ich vor kurtzer Zeit kaum vernehmen konnte, reitzet mich von neuem. Allein ſie hat noch keine Liebe, keine Sinnen: die Bedeutungs-vollen, und doch ſo genannten unſchuldigen Freyheiten, dadurch ſich andere erweichen laſſen, darf man gegen ſie nicht gebrauchen. Es verdienet dieſes noch mehr Verwunderung, weil ſie ihre Zuneigung zu mir nicht leugnet, und ſehr bekuͤmmert iſt: denn der Kummer pflegt ſonſt das ſchoͤne Geſchlecht zu erwei- chen. Eine bekuͤmmerte liebenswuͤrdige Perſon ſiehet ſich nach Troſt um, und will ſich gern ſchmei- cheln laſſen. Freude und Kummer ſind Hausge- noſſen. Sie laſſen ſich zwar nicht in einem Fenſter ſehen, allein ſie ſind doch nie weit von einander. Der ſechszigſte Brief von Herrn Lovelace an Herrn Joh. Belford. Mittewochens den 26ten April. Endlich

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/450>, abgerufen am 21.11.2024.