Der acht und dreißigste Brief von Fräulein Howe an Fräulein Clarissa Harlowe.
Mittewochens den 19ten April.
Jch muß Jhnen etwas berichten, daran Jhnen sehr viel gelegen ist.
Nachdem Jhr Bruder mit Gewißheit erfahren hat, daß Sie noch nicht getrauet sind; so hat er sich vorgenommen, Sie auszukundschaften, Jhnen aufzulauren, und Sie mit Gewalt zu entführen. Ein guter Freund von ihm, der ein Schiff-Capi- tain ist, soll Sie an Bord nehmen und mit Jhnen davon seegeln, um Sie zu Leith oder zu Hull an das Land zu setzen, damit Sie auf eines der Häu- ser Jhres Bruders gebracht werden können.
Die Jhrigen sind sehr gottlos. Jhre bekannte Tugend hindert sie nicht, den allerschlimmsten Ver- dacht von Jhnen zu fassen. Wenn sie aber von dem Ungrunde dieses Verdachtes überzeuget seyn können, so wollen sie Sie verbergen, bis sie Sie als Frau Solmes der Welt zeigen können. Um aber Herrn Lovelacen beyde Hände voll zu thun zu ge- ben, soll ihm wegen eines Verbrechens, davon sie et- was wissen wollen, ein Proceß an den Hals gewor- fen werden, der ihn zum wenigsten aus dem Lande treibet, wenn er ihm nicht das Leben kostet.
Diese Neuigkeit ist noch gantz warm. Jhre Schwester erzählte sie mit grossem Frohlocken über Lovelacen der Fräulein Lloyd, die jetzt sehr wohl
bey
Der acht und dreißigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.
Mittewochens den 19ten April.
Jch muß Jhnen etwas berichten, daran Jhnen ſehr viel gelegen iſt.
Nachdem Jhr Bruder mit Gewißheit erfahren hat, daß Sie noch nicht getrauet ſind; ſo hat er ſich vorgenommen, Sie auszukundſchaften, Jhnen aufzulauren, und Sie mit Gewalt zu entfuͤhren. Ein guter Freund von ihm, der ein Schiff-Capi- tain iſt, ſoll Sie an Bord nehmen und mit Jhnen davon ſeegeln, um Sie zu Leith oder zu Hull an das Land zu ſetzen, damit Sie auf eines der Haͤu- ſer Jhres Bruders gebracht werden koͤnnen.
Die Jhrigen ſind ſehr gottlos. Jhre bekannte Tugend hindert ſie nicht, den allerſchlimmſten Ver- dacht von Jhnen zu faſſen. Wenn ſie aber von dem Ungrunde dieſes Verdachtes uͤberzeuget ſeyn koͤnnen, ſo wollen ſie Sie verbergen, bis ſie Sie als Frau Solmes der Welt zeigen koͤnnen. Um aber Herrn Lovelacen beyde Haͤnde voll zu thun zu ge- ben, ſoll ihm wegen eines Verbrechens, davon ſie et- was wiſſen wollen, ein Proceß an den Hals gewor- fen werden, der ihn zum wenigſten aus dem Lande treibet, wenn er ihm nicht das Leben koſtet.
Dieſe Neuigkeit iſt noch gantz warm. Jhre Schweſter erzaͤhlte ſie mit groſſem Frohlocken uͤber Lovelacen der Fraͤulein Lloyd, die jetzt ſehr wohl
bey
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Der acht und dreißigſte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.
Mittewochens den 19ten April.
Jch muß Jhnen etwas berichten, daran Jhnen
ſehr viel gelegen iſt.
Nachdem Jhr Bruder mit Gewißheit erfahren
hat, daß Sie noch nicht getrauet ſind; ſo hat er
ſich vorgenommen, Sie auszukundſchaften, Jhnen
aufzulauren, und Sie mit Gewalt zu entfuͤhren.
Ein guter Freund von ihm, der ein Schiff-Capi-
tain iſt, ſoll Sie an Bord nehmen und mit Jhnen
davon ſeegeln, um Sie zu Leith oder zu Hull an
das Land zu ſetzen, damit Sie auf eines der Haͤu-
ſer Jhres Bruders gebracht werden koͤnnen.
Die Jhrigen ſind ſehr gottlos. Jhre bekannte
Tugend hindert ſie nicht, den allerſchlimmſten Ver-
dacht von Jhnen zu faſſen. Wenn ſie aber von
dem Ungrunde dieſes Verdachtes uͤberzeuget ſeyn
koͤnnen, ſo wollen ſie Sie verbergen, bis ſie Sie als
Frau Solmes der Welt zeigen koͤnnen. Um aber
Herrn Lovelacen beyde Haͤnde voll zu thun zu ge-
ben, ſoll ihm wegen eines Verbrechens, davon ſie et-
was wiſſen wollen, ein Proceß an den Hals gewor-
fen werden, der ihn zum wenigſten aus dem Lande
treibet, wenn er ihm nicht das Leben koſtet.
Dieſe Neuigkeit iſt noch gantz warm. Jhre
Schweſter erzaͤhlte ſie mit groſſem Frohlocken uͤber
Lovelacen der Fraͤulein Lloyd, die jetzt ſehr wohl
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/315>, abgerufen am 21.11.2024.
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