Der zweyte Brief. von Fräulein Howe an Fräulein Clarissa Harlowe.
Donnerstags Morgens um 7. Uhr.
Meine Mutter und Baase sind in unserm Wa- gen mit 4. Pferden weggefahren. Jhr tapferer Ritter begleitet Sie zu Pferde, nebst [2]. von seinen und einem von meiner Mutter Dienern. Beyde machen gern etwas Staat, wenn sie ver- reisen: wenigstens halten Sie dieses für eine Höf- lichkeit, die einer dem andern schuldig sey, und geben dadurch zu erkennen, daß Sie sich unterein- ander für Liebhaber des Staats ansehen. Ro- bert/ ist nur Jhr und mein Diener, sonst nie- mandes, und der Tag ist gantz mein eigen.
Jch muß sie gleich Anfangs tadeln, mein Kind, daß Sie nicht bey gegebener Gelegenheit für Jhr Recht streiten wollen. Gerechtigkeit ist man sich eben so sehr schuldig, als andern. Noch mehr muß ich Sie tadeln, daß Sie sich gegen ihre Ba- se und Schwester also erklären: Sie wollen nichtprocessiren. Denn da diese ihren Vater und Bruder hievon benachrichtigen werden; so muß eine solche Erklärung nothwendig dergleichen Ge- müther dreister und frecher machen, die so wenig von Edelmüthigkeit, als Jhrer recht unterscheiden- den Tugend, besitzen.
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Die Geſchichte
Der zweyte Brief. von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.
Donnerſtags Morgens um 7. Uhr.
Meine Mutter und Baaſe ſind in unſerm Wa- gen mit 4. Pferden weggefahren. Jhr tapferer Ritter begleitet Sie zu Pferde, nebſt [2]. von ſeinen und einem von meiner Mutter Dienern. Beyde machen gern etwas Staat, wenn ſie ver- reiſen: wenigſtens halten Sie dieſes fuͤr eine Hoͤf- lichkeit, die einer dem andern ſchuldig ſey, und geben dadurch zu erkennen, daß Sie ſich unterein- ander fuͤr Liebhaber des Staats anſehen. Ro- bert/ iſt nur Jhr und mein Diener, ſonſt nie- mandes, und der Tag iſt gantz mein eigen.
Jch muß ſie gleich Anfangs tadeln, mein Kind, daß Sie nicht bey gegebener Gelegenheit fuͤr Jhr Recht ſtreiten wollen. Gerechtigkeit iſt man ſich eben ſo ſehr ſchuldig, als andern. Noch mehr muß ich Sie tadeln, daß Sie ſich gegen ihre Ba- ſe und Schweſter alſo erklaͤren: Sie wollen nichtproceſſiren. Denn da dieſe ihren Vater und Bruder hievon benachrichtigen werden; ſo muß eine ſolche Erklaͤrung nothwendig dergleichen Ge- muͤther dreiſter und frecher machen, die ſo wenig von Edelmuͤthigkeit, als Jhrer recht unterſcheiden- den Tugend, beſitzen.
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[14/0020]
Die Geſchichte
Der zweyte Brief.
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.
Donnerſtags Morgens
um 7. Uhr.
Meine Mutter und Baaſe ſind in unſerm Wa-
gen mit 4. Pferden weggefahren. Jhr
tapferer Ritter begleitet Sie zu Pferde, nebſt 2.
von ſeinen und einem von meiner Mutter Dienern.
Beyde machen gern etwas Staat, wenn ſie ver-
reiſen: wenigſtens halten Sie dieſes fuͤr eine Hoͤf-
lichkeit, die einer dem andern ſchuldig ſey, und
geben dadurch zu erkennen, daß Sie ſich unterein-
ander fuͤr Liebhaber des Staats anſehen. Ro-
bert/ iſt nur Jhr und mein Diener, ſonſt nie-
mandes, und der Tag iſt gantz mein eigen.
Jch muß ſie gleich Anfangs tadeln, mein Kind,
daß Sie nicht bey gegebener Gelegenheit fuͤr Jhr
Recht ſtreiten wollen. Gerechtigkeit iſt man ſich
eben ſo ſehr ſchuldig, als andern. Noch mehr
muß ich Sie tadeln, daß Sie ſich gegen ihre Ba-
ſe und Schweſter alſo erklaͤren: Sie wollen
nicht proceſſiren. Denn da dieſe ihren Vater und
Bruder hievon benachrichtigen werden; ſo muß
eine ſolche Erklaͤrung nothwendig dergleichen Ge-
muͤther dreiſter und frecher machen, die ſo wenig
von Edelmuͤthigkeit, als Jhrer recht unterſcheiden-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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