Der neun und zwantzigste Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Sonnabends den 11. Märtz.
Jch habe von meinem Bruder und von mei- ner Schwester so empflndliche Complimen- te bekommen, und so offenhertzige Versprechun- gen dessen, was ich von ihnen zu erwarten habe, wenn ich nicht nachgeben werde, (und dieses alles hat noch dazu die Elisabeth Barnes mit ihrer gewöhnlichen Grobheit an mich bestellen müssen) daß ich für nöthig hielt, etwas freyer mit ihnen zu sprechen, ehe ich mich an meine Onckles, dem von meiner Mutter gegebenen Winck gemäß, wendete. Jch habe es aber auf eine solche Weise gethan, daß Sie dadurch grossen Vortheil über mich und Gelegenheit mich zu tadeln erhalten wer- den, wenn Sie eben so davon urtheilen wollen, als Sie über den Jnhalt eines Theils meiner vorigen Briefe geurtheilet haben. Kurtz, Sie werden sa- gen, daß ich sehr verliebt bin, wenn nicht die Ursa- chen die mich bewogen haben, meine Schreibart in Absicht auf Herrn Lovelace zu ändern, Jh- nen ein bessere Meinung von mir beybringen. Denn ich habe geglaubt, es sey am besten, diese Leute bey ihren fünf Augen zu lassen; und da sie es einmal behaupten wollen, daß ich eine vorzügliche Neigung gegen Herrn Lovelace habe, ihnen Ursache zu diesem Verdacht zu geben.
Die-
Die Geſchichte
Der neun und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Sonnabends den 11. Maͤrtz.
Jch habe von meinem Bruder und von mei- ner Schweſter ſo empflndliche Complimen- te bekommen, und ſo offenhertzige Verſprechun- gen deſſen, was ich von ihnen zu erwarten habe, wenn ich nicht nachgeben werde, (und dieſes alles hat noch dazu die Eliſabeth Barnes mit ihrer gewoͤhnlichen Grobheit an mich beſtellen muͤſſen) daß ich fuͤr noͤthig hielt, etwas freyer mit ihnen zu ſprechen, ehe ich mich an meine Onckles, dem von meiner Mutter gegebenen Winck gemaͤß, wendete. Jch habe es aber auf eine ſolche Weiſe gethan, daß Sie dadurch groſſen Vortheil uͤber mich und Gelegenheit mich zu tadeln erhalten wer- den, wenn Sie eben ſo davon urtheilen wollen, als Sie uͤber den Jnhalt eines Theils meiner vorigen Briefe geurtheilet haben. Kurtz, Sie werden ſa- gen, daß ich ſehr verliebt bin, wenn nicht die Urſa- chen die mich bewogen haben, meine Schreibart in Abſicht auf Herrn Lovelace zu aͤndern, Jh- nen ein beſſere Meinung von mir beybringen. Denn ich habe geglaubt, es ſey am beſten, dieſe Leute bey ihren fuͤnf Augen zu laſſen; und da ſie es einmal behaupten wollen, daß ich eine vorzuͤgliche Neigung gegen Herrn Lovelace habe, ihnen Urſache zu dieſem Verdacht zu geben.
Die-
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Die Geſchichte
Der neun und zwantzigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Sonnabends den 11. Maͤrtz.
Jch habe von meinem Bruder und von mei-
ner Schweſter ſo empflndliche Complimen-
te bekommen, und ſo offenhertzige Verſprechun-
gen deſſen, was ich von ihnen zu erwarten habe,
wenn ich nicht nachgeben werde, (und dieſes alles
hat noch dazu die Eliſabeth Barnes mit ihrer
gewoͤhnlichen Grobheit an mich beſtellen muͤſſen)
daß ich fuͤr noͤthig hielt, etwas freyer mit ihnen
zu ſprechen, ehe ich mich an meine Onckles, dem
von meiner Mutter gegebenen Winck gemaͤß,
wendete. Jch habe es aber auf eine ſolche Weiſe
gethan, daß Sie dadurch groſſen Vortheil uͤber
mich und Gelegenheit mich zu tadeln erhalten wer-
den, wenn Sie eben ſo davon urtheilen wollen, als
Sie uͤber den Jnhalt eines Theils meiner vorigen
Briefe geurtheilet haben. Kurtz, Sie werden ſa-
gen, daß ich ſehr verliebt bin, wenn nicht die Urſa-
chen die mich bewogen haben, meine Schreibart
in Abſicht auf Herrn Lovelace zu aͤndern, Jh-
nen ein beſſere Meinung von mir beybringen.
Denn ich habe geglaubt, es ſey am beſten, dieſe
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einmal behaupten wollen, daß ich eine vorzuͤgliche
Neigung gegen Herrn Lovelace habe, ihnen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/324>, abgerufen am 21.11.2024.
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