Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Märchen vom ersten April.
von dem Prinzen in einer kleinen Verrichtung ge-
braucht worden ist. Es waren seine ersten Ver-
richtungen; darum hielt er sie für sehr wichtig.
So lange er abwesend war, bildete er sich ein, daß
das ganze Land nur von ihm und seinen Verrich-
tungen rede. Er kömmt zurück, er wundert sich,
daß ihn das Land nicht durch Bevollmächtigte an
der Gränze einholen läßt. Er kömmt in die Stadt,
und fährt unbemerkt durch die Gassen. Er steigt
vor seinem Hause ab, und der Wirth fragt ihn,
ob er spatzieren gefahren sey? Also hat nicht ein-
mal der Wirth ihn vermißt? Hätte wohl dem
Gurdus, der sich alle Wochen in den Zeitungen
suchte, eine grössere Demüthigung begegnen
können?

37.

Nun wird Cölestine (46) ihre Lebenszeit recht
vergnügt zubringen. Sie hat heute den Handel
über ein Landgut geschlossen, auf welches sie nach
den Feyertagen ziehen, und nicht wieder in die
Stadt kommen will. Sie ist die Stadt über-
drüßig. Man sieht da nichts, als den Himmel
und die Gasse. Tag und Nacht ist kein Ruhe;
jede Familie ist der Spion der andern. Den be-
sten Freunden darf man nicht trauen, und unter
diese besten Freunde gehört Pattine, die den rei-
chen Kaufmann geheirathet hat, auf dessen Herz

Cölesti-
(46) Wenn es doch T - - gestehen wollte, daß sie nur die
Eifersucht zu diesem Entschlusse gebracht hat!

Das Maͤrchen vom erſten April.
von dem Prinzen in einer kleinen Verrichtung ge-
braucht worden iſt. Es waren ſeine erſten Ver-
richtungen; darum hielt er ſie fuͤr ſehr wichtig.
So lange er abweſend war, bildete er ſich ein, daß
das ganze Land nur von ihm und ſeinen Verrich-
tungen rede. Er koͤmmt zuruͤck, er wundert ſich,
daß ihn das Land nicht durch Bevollmaͤchtigte an
der Graͤnze einholen laͤßt. Er koͤmmt in die Stadt,
und faͤhrt unbemerkt durch die Gaſſen. Er ſteigt
vor ſeinem Hauſe ab, und der Wirth fragt ihn,
ob er ſpatzieren gefahren ſey? Alſo hat nicht ein-
mal der Wirth ihn vermißt? Haͤtte wohl dem
Gurdus, der ſich alle Wochen in den Zeitungen
ſuchte, eine groͤſſere Demuͤthigung begegnen
koͤnnen?

37.

Nun wird Coͤleſtine (46) ihre Lebenszeit recht
vergnuͤgt zubringen. Sie hat heute den Handel
uͤber ein Landgut geſchloſſen, auf welches ſie nach
den Feyertagen ziehen, und nicht wieder in die
Stadt kommen will. Sie iſt die Stadt uͤber-
druͤßig. Man ſieht da nichts, als den Himmel
und die Gaſſe. Tag und Nacht iſt kein Ruhe;
jede Familie iſt der Spion der andern. Den be-
ſten Freunden darf man nicht trauen, und unter
dieſe beſten Freunde gehoͤrt Pattine, die den rei-
chen Kaufmann geheirathet hat, auf deſſen Herz

Coͤleſti-
(46) Wenn es doch T ‒ ‒ geſtehen wollte, daß ſie nur die
Eiferſucht zu dieſem Entſchluſſe gebracht hat!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0558" n="536[534]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Ma&#x0364;rchen vom er&#x017F;ten April.</hi></fw><lb/>
von dem Prinzen in einer kleinen Verrichtung ge-<lb/>
braucht worden i&#x017F;t. Es waren &#x017F;eine er&#x017F;ten Ver-<lb/>
richtungen; darum hielt er &#x017F;ie fu&#x0364;r &#x017F;ehr wichtig.<lb/>
So lange er abwe&#x017F;end war, bildete er &#x017F;ich ein, daß<lb/>
das ganze Land nur von ihm und &#x017F;einen Verrich-<lb/>
tungen rede. Er ko&#x0364;mmt zuru&#x0364;ck, er wundert &#x017F;ich,<lb/>
daß ihn das Land nicht durch Bevollma&#x0364;chtigte an<lb/>
der Gra&#x0364;nze einholen la&#x0364;ßt. Er ko&#x0364;mmt in die Stadt,<lb/>
und fa&#x0364;hrt unbemerkt durch die Ga&#x017F;&#x017F;en. Er &#x017F;teigt<lb/>
vor &#x017F;einem Hau&#x017F;e ab, und der Wirth fragt ihn,<lb/>
ob er &#x017F;patzieren gefahren &#x017F;ey? Al&#x017F;o hat nicht ein-<lb/>
mal der Wirth ihn vermißt? Ha&#x0364;tte wohl dem<lb/>
Gurdus, der &#x017F;ich alle Wochen in den Zeitungen<lb/>
&#x017F;uchte, eine gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Demu&#x0364;thigung begegnen<lb/>
ko&#x0364;nnen?</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>37.</head><lb/>
              <p>Nun wird <hi rendition="#fr">Co&#x0364;le&#x017F;tine</hi> <note place="foot" n="(46)">Wenn es doch <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">T</hi></hi> &#x2012; &#x2012; ge&#x017F;tehen wollte, daß &#x017F;ie nur die<lb/>
Eifer&#x017F;ucht zu die&#x017F;em Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e gebracht hat!</note> ihre Lebenszeit recht<lb/>
vergnu&#x0364;gt zubringen. Sie hat heute den Handel<lb/>
u&#x0364;ber ein Landgut ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, auf welches &#x017F;ie nach<lb/>
den Feyertagen ziehen, und nicht wieder in die<lb/>
Stadt kommen will. Sie i&#x017F;t die Stadt u&#x0364;ber-<lb/>
dru&#x0364;ßig. Man &#x017F;ieht da nichts, als den Himmel<lb/>
und die Ga&#x017F;&#x017F;e. Tag und Nacht i&#x017F;t kein Ruhe;<lb/>
jede Familie i&#x017F;t der Spion der andern. Den be-<lb/>
&#x017F;ten Freunden darf man nicht trauen, und unter<lb/>
die&#x017F;e be&#x017F;ten Freunde geho&#x0364;rt <hi rendition="#fr">Pattine,</hi> die den rei-<lb/>
chen Kaufmann geheirathet hat, auf de&#x017F;&#x017F;en Herz<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Co&#x0364;le&#x017F;ti-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[536[534]/0558] Das Maͤrchen vom erſten April. von dem Prinzen in einer kleinen Verrichtung ge- braucht worden iſt. Es waren ſeine erſten Ver- richtungen; darum hielt er ſie fuͤr ſehr wichtig. So lange er abweſend war, bildete er ſich ein, daß das ganze Land nur von ihm und ſeinen Verrich- tungen rede. Er koͤmmt zuruͤck, er wundert ſich, daß ihn das Land nicht durch Bevollmaͤchtigte an der Graͤnze einholen laͤßt. Er koͤmmt in die Stadt, und faͤhrt unbemerkt durch die Gaſſen. Er ſteigt vor ſeinem Hauſe ab, und der Wirth fragt ihn, ob er ſpatzieren gefahren ſey? Alſo hat nicht ein- mal der Wirth ihn vermißt? Haͤtte wohl dem Gurdus, der ſich alle Wochen in den Zeitungen ſuchte, eine groͤſſere Demuͤthigung begegnen koͤnnen? 37. Nun wird Coͤleſtine (46) ihre Lebenszeit recht vergnuͤgt zubringen. Sie hat heute den Handel uͤber ein Landgut geſchloſſen, auf welches ſie nach den Feyertagen ziehen, und nicht wieder in die Stadt kommen will. Sie iſt die Stadt uͤber- druͤßig. Man ſieht da nichts, als den Himmel und die Gaſſe. Tag und Nacht iſt kein Ruhe; jede Familie iſt der Spion der andern. Den be- ſten Freunden darf man nicht trauen, und unter dieſe beſten Freunde gehoͤrt Pattine, die den rei- chen Kaufmann geheirathet hat, auf deſſen Herz Coͤleſti- (46) Wenn es doch T ‒ ‒ geſtehen wollte, daß ſie nur die Eiferſucht zu dieſem Entſchluſſe gebracht hat!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/558
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 536[534]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/558>, abgerufen am 20.11.2024.