ander noch eben so aufrichtig; aber desto empfind- licher ist ihnen der Mangel, den keines vor dem andern verbergen kann. Sie und ihre Mutter können nicht begreifen, wie das möglich ist, daß der Himmel eine so aufrichtige Liebe darben läßt: Aber sie bedenken nicht, daß die aufrichtigste Liebe unvernünftig seyn kann, und daß der Himmel nicht schuldig ist, unsere Thorheiten zu segnen, wenn wir auch schon diese Thorheiten mit Gebet an- fangen.
12.
Kleant - - (13) ich weis nicht, ob ihr ihn kennt? Kleant, der eigennützige Hagestolz, hat selbst keine Verdienste, als das Geld, und also kennt er auch, außer dem Gelde, keine Verdienste weiter. Man hat immer die Absicht gehabt, sein Vermögen in vernünftigere Hände zu bringen, und um deßwillen hat man sich Mühe gegeben, ihn zu verheirathen. Man schlägt ihm ein Frauenzim- mer vor, die sehr tugendhaft ist. Aber hat sie Geld? fragt er. "Sie ist von einer guten an- "sehnlichen Familie." Aber vielleicht hat sie eben um deßwillen kein Geld? "Sie ist zu allen denen "Künsten und Wissenschaften angeführt worden, "die ein Frauenzimmer zu einer vernünftigen Mut- "ter, einer häuslichen Frau, und einer liebens- "würdigen Freundinn machen." Hum! spricht Kleant, aber was bringt sie mit? Dort tanzt dieser Kleant, und zwar tanzt er mit Orime-
nen,
(13) Mit ihrer Erlaubniß, Herr N - - T - -, daß ich sie ein wenig bekannter mache.
Das Maͤrchen vom erſten April.
ander noch eben ſo aufrichtig; aber deſto empfind- licher iſt ihnen der Mangel, den keines vor dem andern verbergen kann. Sie und ihre Mutter koͤnnen nicht begreifen, wie das moͤglich iſt, daß der Himmel eine ſo aufrichtige Liebe darben laͤßt: Aber ſie bedenken nicht, daß die aufrichtigſte Liebe unvernuͤnftig ſeyn kann, und daß der Himmel nicht ſchuldig iſt, unſere Thorheiten zu ſegnen, wenn wir auch ſchon dieſe Thorheiten mit Gebet an- fangen.
12.
Kleant ‒ ‒ (13) ich weis nicht, ob ihr ihn kennt? Kleant, der eigennuͤtzige Hageſtolz, hat ſelbſt keine Verdienſte, als das Geld, und alſo kennt er auch, außer dem Gelde, keine Verdienſte weiter. Man hat immer die Abſicht gehabt, ſein Vermoͤgen in vernuͤnftigere Haͤnde zu bringen, und um deßwillen hat man ſich Muͤhe gegeben, ihn zu verheirathen. Man ſchlaͤgt ihm ein Frauenzim- mer vor, die ſehr tugendhaft iſt. Aber hat ſie Geld? fragt er. „Sie iſt von einer guten an- „ſehnlichen Familie.„ Aber vielleicht hat ſie eben um deßwillen kein Geld? „Sie iſt zu allen denen „Kuͤnſten und Wiſſenſchaften angefuͤhrt worden, „die ein Frauenzimmer zu einer vernuͤnftigen Mut- „ter, einer haͤuslichen Frau, und einer liebens- „wuͤrdigen Freundinn machen.„ Hum! ſpricht Kleant, aber was bringt ſie mit? Dort tanzt dieſer Kleant, und zwar tanzt er mit Orime-
nen,
(13) Mit ihrer Erlaubniß, Herr N ‒ ‒ T ‒ ‒, daß ich ſie ein wenig bekannter mache.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0534"n="512[510]"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das Maͤrchen vom erſten April.</hi></fw><lb/>
ander noch eben ſo aufrichtig; aber deſto empfind-<lb/>
licher iſt ihnen der Mangel, den keines vor dem<lb/>
andern verbergen kann. Sie und ihre Mutter<lb/>
koͤnnen nicht begreifen, wie das moͤglich iſt, daß<lb/>
der Himmel eine ſo aufrichtige Liebe darben laͤßt:<lb/>
Aber ſie bedenken nicht, daß die aufrichtigſte Liebe<lb/>
unvernuͤnftig ſeyn kann, und daß der Himmel nicht<lb/>ſchuldig iſt, unſere Thorheiten zu ſegnen, wenn<lb/>
wir auch ſchon dieſe Thorheiten mit Gebet an-<lb/>
fangen.</p></div><lb/><divn="4"><head>12.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Kleant</hi>‒‒<noteplace="foot"n="(13)">Mit ihrer Erlaubniß, Herr <hirendition="#aq"><hirendition="#i">N ‒‒ T</hi></hi>‒‒, daß ich ſie<lb/>
ein wenig bekannter mache.</note> ich weis nicht, ob ihr ihn<lb/>
kennt? Kleant, der eigennuͤtzige Hageſtolz, hat<lb/>ſelbſt keine Verdienſte, als das Geld, und alſo<lb/>
kennt er auch, außer dem Gelde, keine Verdienſte<lb/>
weiter. Man hat immer die Abſicht gehabt, ſein<lb/>
Vermoͤgen in vernuͤnftigere Haͤnde zu bringen, und<lb/>
um deßwillen hat man ſich Muͤhe gegeben, ihn zu<lb/>
verheirathen. Man ſchlaͤgt ihm ein Frauenzim-<lb/>
mer vor, die ſehr tugendhaft iſt. Aber hat ſie<lb/>
Geld? fragt er. „Sie iſt von einer guten an-<lb/>„ſehnlichen Familie.„ Aber vielleicht hat ſie eben<lb/>
um deßwillen kein Geld? „Sie iſt zu allen denen<lb/>„Kuͤnſten und Wiſſenſchaften angefuͤhrt worden,<lb/>„die ein Frauenzimmer zu einer vernuͤnftigen Mut-<lb/>„ter, einer haͤuslichen Frau, und einer liebens-<lb/>„wuͤrdigen Freundinn machen.„ Hum! ſpricht<lb/>
Kleant, aber was bringt ſie mit? Dort tanzt<lb/>
dieſer Kleant, und zwar tanzt er mit <hirendition="#fr">Orime-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">nen,</hi></fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[512[510]/0534]
Das Maͤrchen vom erſten April.
ander noch eben ſo aufrichtig; aber deſto empfind-
licher iſt ihnen der Mangel, den keines vor dem
andern verbergen kann. Sie und ihre Mutter
koͤnnen nicht begreifen, wie das moͤglich iſt, daß
der Himmel eine ſo aufrichtige Liebe darben laͤßt:
Aber ſie bedenken nicht, daß die aufrichtigſte Liebe
unvernuͤnftig ſeyn kann, und daß der Himmel nicht
ſchuldig iſt, unſere Thorheiten zu ſegnen, wenn
wir auch ſchon dieſe Thorheiten mit Gebet an-
fangen.
12.
Kleant ‒ ‒ (13) ich weis nicht, ob ihr ihn
kennt? Kleant, der eigennuͤtzige Hageſtolz, hat
ſelbſt keine Verdienſte, als das Geld, und alſo
kennt er auch, außer dem Gelde, keine Verdienſte
weiter. Man hat immer die Abſicht gehabt, ſein
Vermoͤgen in vernuͤnftigere Haͤnde zu bringen, und
um deßwillen hat man ſich Muͤhe gegeben, ihn zu
verheirathen. Man ſchlaͤgt ihm ein Frauenzim-
mer vor, die ſehr tugendhaft iſt. Aber hat ſie
Geld? fragt er. „Sie iſt von einer guten an-
„ſehnlichen Familie.„ Aber vielleicht hat ſie eben
um deßwillen kein Geld? „Sie iſt zu allen denen
„Kuͤnſten und Wiſſenſchaften angefuͤhrt worden,
„die ein Frauenzimmer zu einer vernuͤnftigen Mut-
„ter, einer haͤuslichen Frau, und einer liebens-
„wuͤrdigen Freundinn machen.„ Hum! ſpricht
Kleant, aber was bringt ſie mit? Dort tanzt
dieſer Kleant, und zwar tanzt er mit Orime-
nen,
(13) Mit ihrer Erlaubniß, Herr N ‒ ‒ T ‒ ‒, daß ich ſie
ein wenig bekannter mache.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 512[510]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/534>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.