"und eben dadurch der größte Theil der Annehm- "lichkeit, weg.
"Jch verliere bey dieser Erklärung allerdings, "das sehe ich gar wohl voraus; aber ich habe die- "sen Schaden lieber verschmerzen, als in einen "Verdacht fallen wollen, der mir noch weit em- "pfindlicher seyn würde. Nunmehr sind meine "Leser überzeugt, wenigstens hoffe ich es, daß "mein ungerechter Richter nur des Polyphems we- "gen erdacht worden. Hätten sie das nicht ge- "wußt, wie viel vergebne Mühe würden sie sich ge- "macht haben, das Original zu errathen. Hätten "sie auch kein Original dazu gefunden, wie es "denn nicht möglich ist, da dergleichen ungerechte "Richter, wenigstens in unsern Landen nicht, "sind, so würden sie doch mich nicht aus dem "Verdachte gelassen haben, daß meine Satyre eine "persönliche Satyre sey. Nun kann ich ihr Ur- "theil gelassen erwarten. Derjenige Leser muß sehr "verstockt seyn, der dem ungeachtet glauben will, daß "ein solcher Polyphem unter uns wohne.
Gnädiger Herr,
Jst es möglich, daß Sie diesen Mann erst itzt haben kennen lernen? und Sie wohnen schon sechs Jah- re in der Gegend, welche unter seiner Ungerechtigkeit seufzt? Aber vielleicht kennen Sie ihn noch itzt nicht einmal recht genau. Jch will ihn malen, nach dem Leben will ich ihn zeichnen. Machen Sie Sich die- se Entdeckung zu Nutze, und hüten Sie Sich vor ihm.
Er
K
Satyriſche Briefe.
„und eben dadurch der groͤßte Theil der Annehm- „lichkeit, weg.
„Jch verliere bey dieſer Erklaͤrung allerdings, „das ſehe ich gar wohl voraus; aber ich habe die- „ſen Schaden lieber verſchmerzen, als in einen „Verdacht fallen wollen, der mir noch weit em- „pfindlicher ſeyn wuͤrde. Nunmehr ſind meine „Leſer uͤberzeugt, wenigſtens hoffe ich es, daß „mein ungerechter Richter nur des Polyphems we- „gen erdacht worden. Haͤtten ſie das nicht ge- „wußt, wie viel vergebne Muͤhe wuͤrden ſie ſich ge- „macht haben, das Original zu errathen. Haͤtten „ſie auch kein Original dazu gefunden, wie es „denn nicht moͤglich iſt, da dergleichen ungerechte „Richter, wenigſtens in unſern Landen nicht, „ſind, ſo wuͤrden ſie doch mich nicht aus dem „Verdachte gelaſſen haben, daß meine Satyre eine „perſoͤnliche Satyre ſey. Nun kann ich ihr Ur- „theil gelaſſen erwarten. Derjenige Leſer muß ſehr „verſtockt ſeyn, der dem ungeachtet glauben will, daß „ein ſolcher Polyphem unter uns wohne.
Gnaͤdiger Herr,
Jſt es moͤglich, daß Sie dieſen Mann erſt itzt haben kennen lernen? und Sie wohnen ſchon ſechs Jah- re in der Gegend, welche unter ſeiner Ungerechtigkeit ſeufzt? Aber vielleicht kennen Sie ihn noch itzt nicht einmal recht genau. Jch will ihn malen, nach dem Leben will ich ihn zeichnen. Machen Sie Sich die- ſe Entdeckung zu Nutze, und huͤten Sie Sich vor ihm.
Er
K
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Satyriſche Briefe.
„und eben dadurch der groͤßte Theil der Annehm-
„lichkeit, weg.
„Jch verliere bey dieſer Erklaͤrung allerdings,
„das ſehe ich gar wohl voraus; aber ich habe die-
„ſen Schaden lieber verſchmerzen, als in einen
„Verdacht fallen wollen, der mir noch weit em-
„pfindlicher ſeyn wuͤrde. Nunmehr ſind meine
„Leſer uͤberzeugt, wenigſtens hoffe ich es, daß
„mein ungerechter Richter nur des Polyphems we-
„gen erdacht worden. Haͤtten ſie das nicht ge-
„wußt, wie viel vergebne Muͤhe wuͤrden ſie ſich ge-
„macht haben, das Original zu errathen. Haͤtten
„ſie auch kein Original dazu gefunden, wie es
„denn nicht moͤglich iſt, da dergleichen ungerechte
„Richter, wenigſtens in unſern Landen nicht,
„ſind, ſo wuͤrden ſie doch mich nicht aus dem
„Verdachte gelaſſen haben, daß meine Satyre eine
„perſoͤnliche Satyre ſey. Nun kann ich ihr Ur-
„theil gelaſſen erwarten. Derjenige Leſer muß ſehr
„verſtockt ſeyn, der dem ungeachtet glauben will, daß
„ein ſolcher Polyphem unter uns wohne.
Gnaͤdiger Herr,
Jſt es moͤglich, daß Sie dieſen Mann erſt itzt haben
kennen lernen? und Sie wohnen ſchon ſechs Jah-
re in der Gegend, welche unter ſeiner Ungerechtigkeit
ſeufzt? Aber vielleicht kennen Sie ihn noch itzt nicht
einmal recht genau. Jch will ihn malen, nach dem
Leben will ich ihn zeichnen. Machen Sie Sich die-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/173>, abgerufen am 30.12.2024.
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