Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Satyrische Briefe.
Madame,

Wenn Jhr Advocat die Sache besser versteht,
als ich: so wollte ich, daß er an meiner
Stelle Richter seyn müßte. Haben Sie gerechte
Sache, so wird es sich zuletzt schon ausweisen;
man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen, wie
es sich nach Vorschrift der Gesetze gehört. Das
verstehe ich, und Sie verstehn es nicht, Madame.
Mit Thränen und Klagen löst man weder einen
Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein
Geld, so müssen Sie keinen Proceß führen. Hat
Jhnen das Jhr Advocat nicht gesagt? Warum
haben Sie so viel Kinder, wenn Sie solche nicht
ernähren können? Meinen Kindern giebt niemand
etwas, als was ich verdiene; und was mir gehört,
das lasse ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor-
te: Sie sind noch fünf Thaler Gerichtsgebühren
und baaren Verlag schuldig; und bezahlen Sie die-
se binnen acht Tagen nicht: so lasse ich Sie aus-
pfänden, oder ich will kein ehrlicher Mann seyn.
Jch schwöre nicht vergebens, das wissen Sie.

Leben Sie wohl.

"Jch habe bisher größtentheils nur von der
"unmittelbaren Bestechung geredet. Es ist nö-
"thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba-
"ren sage, welche einen so großen und wichtigen
"Theil von der Historie unsrer Processe ausmacht.

"Es gründet sich dieses auf den alten und
"wahren Satz, daß eine große Anzahl unsrer

"Rich-
Satyriſche Briefe.
Madame,

Wenn Jhr Advocat die Sache beſſer verſteht,
als ich: ſo wollte ich, daß er an meiner
Stelle Richter ſeyn muͤßte. Haben Sie gerechte
Sache, ſo wird es ſich zuletzt ſchon ausweiſen;
man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf laſſen, wie
es ſich nach Vorſchrift der Geſetze gehoͤrt. Das
verſtehe ich, und Sie verſtehn es nicht, Madame.
Mit Thraͤnen und Klagen loͤſt man weder einen
Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein
Geld, ſo muͤſſen Sie keinen Proceß fuͤhren. Hat
Jhnen das Jhr Advocat nicht geſagt? Warum
haben Sie ſo viel Kinder, wenn Sie ſolche nicht
ernaͤhren koͤnnen? Meinen Kindern giebt niemand
etwas, als was ich verdiene; und was mir gehoͤrt,
das laſſe ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor-
te: Sie ſind noch fuͤnf Thaler Gerichtsgebuͤhren
und baaren Verlag ſchuldig; und bezahlen Sie die-
ſe binnen acht Tagen nicht: ſo laſſe ich Sie aus-
pfaͤnden, oder ich will kein ehrlicher Mann ſeyn.
Jch ſchwoͤre nicht vergebens, das wiſſen Sie.

Leben Sie wohl.

„Jch habe bisher groͤßtentheils nur von der
„unmittelbaren Beſtechung geredet. Es iſt noͤ-
„thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba-
„ren ſage, welche einen ſo großen und wichtigen
„Theil von der Hiſtorie unſrer Proceſſe ausmacht.

„Es gruͤndet ſich dieſes auf den alten und
„wahren Satz, daß eine große Anzahl unſrer

„Rich-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <pb facs="#f0136" n="108"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi> </fw><lb/>
            <div type="letter">
              <salute> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#fr">Madame,</hi> </hi> </salute><lb/>
              <p><hi rendition="#in">W</hi>enn Jhr Advocat die Sache be&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;teht,<lb/>
als ich: &#x017F;o wollte ich, daß er an meiner<lb/>
Stelle Richter &#x017F;eyn mu&#x0364;ßte. Haben Sie gerechte<lb/>
Sache, &#x017F;o wird es &#x017F;ich zuletzt &#x017F;chon auswei&#x017F;en;<lb/>
man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf la&#x017F;&#x017F;en, wie<lb/>
es &#x017F;ich nach Vor&#x017F;chrift der Ge&#x017F;etze geho&#x0364;rt. Das<lb/>
ver&#x017F;tehe ich, und Sie ver&#x017F;tehn es nicht, Madame.<lb/>
Mit Thra&#x0364;nen und Klagen lo&#x0364;&#x017F;t man weder einen<lb/>
Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein<lb/>
Geld, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie keinen Proceß fu&#x0364;hren. Hat<lb/>
Jhnen das Jhr Advocat nicht ge&#x017F;agt? Warum<lb/>
haben Sie &#x017F;o viel Kinder, wenn Sie &#x017F;olche nicht<lb/>
erna&#x0364;hren ko&#x0364;nnen? Meinen Kindern giebt niemand<lb/>
etwas, als was ich verdiene; und was mir geho&#x0364;rt,<lb/>
das la&#x017F;&#x017F;e ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor-<lb/>
te: Sie &#x017F;ind noch fu&#x0364;nf Thaler Gerichtsgebu&#x0364;hren<lb/>
und baaren Verlag &#x017F;chuldig; und bezahlen Sie die-<lb/>
&#x017F;e binnen acht Tagen nicht: &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;e ich Sie aus-<lb/>
pfa&#x0364;nden, oder ich will kein ehrlicher Mann &#x017F;eyn.<lb/>
Jch &#x017F;chwo&#x0364;re nicht vergebens, das wi&#x017F;&#x017F;en Sie.</p><lb/>
              <closer>
                <salute>Leben Sie wohl.</salute>
              </closer>
            </div>
          </body>
        </floatingText><lb/>
        <p>&#x201E;Jch habe bisher gro&#x0364;ßtentheils nur von der<lb/>
&#x201E;unmittelbaren Be&#x017F;techung geredet. Es i&#x017F;t no&#x0364;-<lb/>
&#x201E;thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba-<lb/>
&#x201E;ren &#x017F;age, welche einen &#x017F;o großen und wichtigen<lb/>
&#x201E;Theil von der Hi&#x017F;torie un&#x017F;rer Proce&#x017F;&#x017F;e ausmacht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es gru&#x0364;ndet &#x017F;ich die&#x017F;es auf den alten und<lb/>
&#x201E;wahren Satz, daß eine große Anzahl un&#x017F;rer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Rich-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0136] Satyriſche Briefe. Madame, Wenn Jhr Advocat die Sache beſſer verſteht, als ich: ſo wollte ich, daß er an meiner Stelle Richter ſeyn muͤßte. Haben Sie gerechte Sache, ſo wird es ſich zuletzt ſchon ausweiſen; man muß der Gerechtigkeit ihren Lauf laſſen, wie es ſich nach Vorſchrift der Geſetze gehoͤrt. Das verſtehe ich, und Sie verſtehn es nicht, Madame. Mit Thraͤnen und Klagen loͤſt man weder einen Bericht, noch ein Urthel ab. Haben Sie kein Geld, ſo muͤſſen Sie keinen Proceß fuͤhren. Hat Jhnen das Jhr Advocat nicht geſagt? Warum haben Sie ſo viel Kinder, wenn Sie ſolche nicht ernaͤhren koͤnnen? Meinen Kindern giebt niemand etwas, als was ich verdiene; und was mir gehoͤrt, das laſſe ich mir nicht nehmen. Mit einem Wor- te: Sie ſind noch fuͤnf Thaler Gerichtsgebuͤhren und baaren Verlag ſchuldig; und bezahlen Sie die- ſe binnen acht Tagen nicht: ſo laſſe ich Sie aus- pfaͤnden, oder ich will kein ehrlicher Mann ſeyn. Jch ſchwoͤre nicht vergebens, das wiſſen Sie. Leben Sie wohl. „Jch habe bisher groͤßtentheils nur von der „unmittelbaren Beſtechung geredet. Es iſt noͤ- „thig, daß ich noch ein Wort von der mittelba- „ren ſage, welche einen ſo großen und wichtigen „Theil von der Hiſtorie unſrer Proceſſe ausmacht. „Es gruͤndet ſich dieſes auf den alten und „wahren Satz, daß eine große Anzahl unſrer „Rich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/136
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/136>, abgerufen am 21.12.2024.