[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.Beytrag Die erste Fabel. Der betrübte Wittwer. Agenor, ein reicher Bürger, lernte ein Frauen- [Abbildung]
Die
Beytrag Die erſte Fabel. Der betruͤbte Wittwer. Agenor, ein reicher Buͤrger, lernte ein Frauen- [Abbildung]
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Beytrag
Die erſte Fabel.
Der betruͤbte Wittwer.
Agenor, ein reicher Buͤrger, lernte ein Frauen-
zimmer kennen, welches weder Schoͤnheit,
noch Vermoͤgen hatte, aber deſto tugendhafter war.
Bloß ihrer Tugend wegen liebte er ſie. Er
heirathete ſie, und die ganze Stadt lobte ſeine
Wahl; denn die meiſten Buͤrger dieſer Stadt wa-
ren tugendhaft, und keiner heirathete aus eigennuͤ-
tzigen und niedertraͤchtigen Abſichten. Zwanzig
Jahre ihrer Ehe waren verfloſſen, und nicht ein ein-
zigesmal hatten ſie einander Gelegenheit zu einem
Misvergnuͤgen gegeben. Noch im zwanzigſten
Jahre liebten ſie einander eben ſo vernuͤnftig, eben
ſo zaͤrtlich, als an dem Tage ihrer Verlobung.
Auf dieſen Umſtand werden meine Leſer ja wohl
merken, denn das iſt eine Hauptfabel. Agenor
verlor ſeine Frau, welche bloß um deswillen
ſchwer zu ſterben ſchien, weil ſie ſich von ihrem Man-
ne trennen ſollte. Zehen Monate hat Agenor zu-
gebracht, ehe er ſich einigermaaßen troͤſten, und
zu einer neuen Heirath entſchließen konnte. An
fuͤnf Monaten waͤre es ſchon genug geweſen: aber
zu einer Fabel mußten es ſchlechterdings
zehen Monate ſeyn.
[Abbildung]
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