Weil ich hier nicht Willens bin, eine philoso- phische Abhandlung zu schreiben: So wird man mir nicht zumuthen, von demjenigen Begriffe etwas zu gedenken, welchen man sich auf der Catheder von dem Worte, Verstand, macht.
Jch schreibe nicht für Pedanten, sondern für die große Welt, und in der großen Welt heißt Verstand so viel, als Reichthum.
Ein Mensch ohne Verstand, ist nichts an- ders, als ein armer. Er kann ehrlich, er kann gelehrt, er kann witzig, mit einem Wort, er kann der artigste, und nützlichste Mann in der Stadt seyn, das hilft ihm alles nichts; der Verstand fehlt ihm, denn er hat kein Geld.
Es ist nicht für einen Dreyer Verstand darinnen! spricht mein Wirth, wenn er ein ver- nünftiges Gedicht liest. Warum? Mein Wirth ist ein Wechsler, welcher in der Welt nichts gelernt hat, als addiren, und er glaubt, wenn er die Ode von dem Gottesläugner *) auf die Börse trüge: So würde er nicht einen Dreyer dafür bekommen.
Das
*) Jm zweyten Bande der bremischen Beyträge auf der 47. S.
N 5
eines deutſchen Woͤrterbuchs.
Verſtand.
Weil ich hier nicht Willens bin, eine philoſo- phiſche Abhandlung zu ſchreiben: So wird man mir nicht zumuthen, von demjenigen Begriffe etwas zu gedenken, welchen man ſich auf der Catheder von dem Worte, Verſtand, macht.
Jch ſchreibe nicht fuͤr Pedanten, ſondern fuͤr die große Welt, und in der großen Welt heißt Verſtand ſo viel, als Reichthum.
Ein Menſch ohne Verſtand, iſt nichts an- ders, als ein armer. Er kann ehrlich, er kann gelehrt, er kann witzig, mit einem Wort, er kann der artigſte, und nuͤtzlichſte Mann in der Stadt ſeyn, das hilft ihm alles nichts; der Verſtand fehlt ihm, denn er hat kein Geld.
Es iſt nicht fuͤr einen Dreyer Verſtand darinnen! ſpricht mein Wirth, wenn er ein ver- nuͤnftiges Gedicht lieſt. Warum? Mein Wirth iſt ein Wechsler, welcher in der Welt nichts gelernt hat, als addiren, und er glaubt, wenn er die Ode von dem Gotteslaͤugner *) auf die Boͤrſe truͤge: So wuͤrde er nicht einen Dreyer dafuͤr bekommen.
Das
*) Jm zweyten Bande der bremiſchen Beytraͤge auf der 47. S.
N 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0201"n="201"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">eines deutſchen Woͤrterbuchs.</hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Verſtand.</hi></head><lb/><p>Weil ich hier nicht Willens bin, eine philoſo-<lb/>
phiſche Abhandlung zu ſchreiben: So wird man<lb/>
mir nicht zumuthen, von demjenigen Begriffe etwas<lb/>
zu gedenken, welchen man ſich auf der Catheder<lb/>
von dem Worte, <hirendition="#fr">Verſtand,</hi> macht.</p><lb/><p>Jch ſchreibe nicht fuͤr Pedanten, ſondern fuͤr die<lb/>
große Welt, und in der großen Welt heißt Verſtand<lb/>ſo viel, als Reichthum.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Ein Menſch ohne Verſtand,</hi> iſt nichts an-<lb/>
ders, als ein armer. Er kann ehrlich, er kann<lb/>
gelehrt, er kann witzig, mit einem Wort, er kann<lb/>
der artigſte, und nuͤtzlichſte Mann in der Stadt<lb/>ſeyn, das hilft ihm alles nichts; der Verſtand fehlt<lb/>
ihm, denn er hat kein Geld.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Es iſt nicht fuͤr einen Dreyer Verſtand<lb/>
darinnen!</hi>ſpricht mein Wirth, wenn er ein ver-<lb/>
nuͤnftiges Gedicht lieſt. Warum? Mein Wirth<lb/>
iſt ein Wechsler, welcher in der Welt nichts gelernt<lb/>
hat, als addiren, und er glaubt, wenn er die Ode<lb/>
von dem Gotteslaͤugner <noteplace="foot"n="*)">Jm zweyten Bande der bremiſchen Beytraͤge auf der 47. S.</note> auf die Boͤrſe truͤge:<lb/>
So wuͤrde er nicht einen Dreyer dafuͤr bekommen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 5</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Das</hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[201/0201]
eines deutſchen Woͤrterbuchs.
Verſtand.
Weil ich hier nicht Willens bin, eine philoſo-
phiſche Abhandlung zu ſchreiben: So wird man
mir nicht zumuthen, von demjenigen Begriffe etwas
zu gedenken, welchen man ſich auf der Catheder
von dem Worte, Verſtand, macht.
Jch ſchreibe nicht fuͤr Pedanten, ſondern fuͤr die
große Welt, und in der großen Welt heißt Verſtand
ſo viel, als Reichthum.
Ein Menſch ohne Verſtand, iſt nichts an-
ders, als ein armer. Er kann ehrlich, er kann
gelehrt, er kann witzig, mit einem Wort, er kann
der artigſte, und nuͤtzlichſte Mann in der Stadt
ſeyn, das hilft ihm alles nichts; der Verſtand fehlt
ihm, denn er hat kein Geld.
Es iſt nicht fuͤr einen Dreyer Verſtand
darinnen! ſpricht mein Wirth, wenn er ein ver-
nuͤnftiges Gedicht lieſt. Warum? Mein Wirth
iſt ein Wechsler, welcher in der Welt nichts gelernt
hat, als addiren, und er glaubt, wenn er die Ode
von dem Gotteslaͤugner *) auf die Boͤrſe truͤge:
So wuͤrde er nicht einen Dreyer dafuͤr bekommen.
Das
*) Jm zweyten Bande der bremiſchen Beytraͤge auf der 47. S.
N 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/201>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.