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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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weggehen lassen -- ich habe Gewissensbisse und muß
erst Oel in Ihre Wunden gießen! Hören Sie, meine
Tante theilt die Bücher in zwei Arten: gute, über
welchen sie nach Tisch einschlafen kann, und schlechte, bei
denen das nicht geht. Ihre Chronik würde sie unter
die ersteren rechnen, wenn sie, aufgewühlt, ihr in die
Hände fallen sollte. Adieu!"

Ich wandte dem unverschämten Gesellen lachend den
Rücken und marschirte ab.



Ich bin zurückgekommen von meinem Spaziergang
und sitze wieder allein und einsam vor den zerstreuten
Bogen meiner Chronik. Der Karikaturenzeichner hat
wirklich ein Blatt vollgekritzelt, alle meine Federn ver-
dorben, einen Dintenklex auf den Fußboden gemacht,
meinen Siegellackvorrath zerbissen, zerdreht und zer-
brochen und -- eine Ecke von meinem Schreibtisch ab-
geschnitzelt. -- Er hat mir fast die Fortsetzung der Auf-
zeichnung meiner Phantasien verleidet, -- und es war
doch so süß, wenn der Blick an irgend einen Gegen-
stand meines Zimmers, dort an jenes kleine, leere Mes-

weggehen laſſen — ich habe Gewiſſensbiſſe und muß
erſt Oel in Ihre Wunden gießen! Hören Sie, meine
Tante theilt die Bücher in zwei Arten: gute, über
welchen ſie nach Tiſch einſchlafen kann, und ſchlechte, bei
denen das nicht geht. Ihre Chronik würde ſie unter
die erſteren rechnen, wenn ſie, aufgewühlt, ihr in die
Hände fallen ſollte. Adieu!“

Ich wandte dem unverſchämten Geſellen lachend den
Rücken und marſchirte ab.



Ich bin zurückgekommen von meinem Spaziergang
und ſitze wieder allein und einſam vor den zerſtreuten
Bogen meiner Chronik. Der Karikaturenzeichner hat
wirklich ein Blatt vollgekritzelt, alle meine Federn ver-
dorben, einen Dintenklex auf den Fußboden gemacht,
meinen Siegellackvorrath zerbiſſen, zerdreht und zer-
brochen und — eine Ecke von meinem Schreibtiſch ab-
geſchnitzelt. — Er hat mir faſt die Fortſetzung der Auf-
zeichnung meiner Phantaſien verleidet, — und es war
doch ſo ſüß, wenn der Blick an irgend einen Gegen-
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[214/0224] weggehen laſſen — ich habe Gewiſſensbiſſe und muß erſt Oel in Ihre Wunden gießen! Hören Sie, meine Tante theilt die Bücher in zwei Arten: gute, über welchen ſie nach Tiſch einſchlafen kann, und ſchlechte, bei denen das nicht geht. Ihre Chronik würde ſie unter die erſteren rechnen, wenn ſie, aufgewühlt, ihr in die Hände fallen ſollte. Adieu!“ Ich wandte dem unverſchämten Geſellen lachend den Rücken und marſchirte ab. Am Abend. — Ich bin zurückgekommen von meinem Spaziergang und ſitze wieder allein und einſam vor den zerſtreuten Bogen meiner Chronik. Der Karikaturenzeichner hat wirklich ein Blatt vollgekritzelt, alle meine Federn ver- dorben, einen Dintenklex auf den Fußboden gemacht, meinen Siegellackvorrath zerbiſſen, zerdreht und zer- brochen und — eine Ecke von meinem Schreibtiſch ab- geſchnitzelt. — Er hat mir faſt die Fortſetzung der Auf- zeichnung meiner Phantaſien verleidet, — und es war doch ſo ſüß, wenn der Blick an irgend einen Gegen- ſtand meines Zimmers, dort an jenes kleine, leere Meſ-

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/224>, abgerufen am 22.12.2024.