Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

meier hat Fräulein Julie Frey geheirathet und steht, --
"mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der schöne
Wahn entzwei," -- fürchterlich unter dem Pantoffel.
Die Frau Rector Dippelmann knüpft noch wie immer
alle Morgen ihrem Gemahl die Halsbinde um, steckt
ihm das Butterbrod, in die gestrige Zeitung ge-
wickelt, in die Rocktasche und sieht ihm stolz nach aus
dem Fenster, wie er über die Friedensbrücke nach dem
Schimmelstädtischen Gymnasium wandelt.

Und Gustav und Elise? -- -- -- Ich werde
nachher dieses Blatt der Chronik herübertragen zu jener
schönen ältlichen Frau -- in No. 12 der Sperlingsgasse,
deren Fortepianoklänge sich schon den ganzen Nachmittag
über in meine Gedanken verwoben haben. -- Dann
werden wir von Gustav und Elise sprechen! --



"Hören Sie, Wachholder," sagte heute Strobel,
mit den zusammengehefteten Bogen der Chronik auf's
Knie schlagend, "wenn Ihnen einmal Freund Hain das
Lebenslicht ausgeblasen hat; irgend Jemand unter ihrem
Nachlaß diese Blätter aufwühlt, und er sich die Mühe

14*

meier hat Fräulein Julie Frey geheirathet und ſteht, —
„mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der ſchöne
Wahn entzwei,“ — fürchterlich unter dem Pantoffel.
Die Frau Rector Dippelmann knüpft noch wie immer
alle Morgen ihrem Gemahl die Halsbinde um, ſteckt
ihm das Butterbrod, in die geſtrige Zeitung ge-
wickelt, in die Rocktaſche und ſieht ihm ſtolz nach aus
dem Fenſter, wie er über die Friedensbrücke nach dem
Schimmelſtädtiſchen Gymnaſium wandelt.

Und Guſtav und Eliſe? — — — Ich werde
nachher dieſes Blatt der Chronik herübertragen zu jener
ſchönen ältlichen Frau — in No. 12 der Sperlingsgaſſe,
deren Fortepianoklänge ſich ſchon den ganzen Nachmittag
über in meine Gedanken verwoben haben. — Dann
werden wir von Guſtav und Eliſe ſprechen! —



„Hören Sie, Wachholder,“ ſagte heute Strobel,
mit den zuſammengehefteten Bogen der Chronik auf’s
Knie ſchlagend, „wenn Ihnen einmal Freund Hain das
Lebenslicht ausgeblaſen hat; irgend Jemand unter ihrem
Nachlaß dieſe Blätter aufwühlt, und er ſich die Mühe

14*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0221" n="211"/>
meier hat Fräulein Julie Frey geheirathet und &#x017F;teht, &#x2014;<lb/>
&#x201E;mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der &#x017F;chöne<lb/>
Wahn entzwei,&#x201C; &#x2014; fürchterlich unter dem Pantoffel.<lb/>
Die Frau Rector Dippelmann knüpft noch wie immer<lb/>
alle Morgen ihrem Gemahl die Halsbinde um, &#x017F;teckt<lb/>
ihm das Butterbrod, in die ge&#x017F;trige Zeitung ge-<lb/>
wickelt, in die Rockta&#x017F;che und &#x017F;ieht ihm &#x017F;tolz nach aus<lb/>
dem Fen&#x017F;ter, wie er über die Friedensbrücke nach dem<lb/>
Schimmel&#x017F;tädti&#x017F;chen Gymna&#x017F;ium wandelt.</p><lb/>
        <p>Und <hi rendition="#g">Gu&#x017F;tav</hi> und <hi rendition="#g">Eli&#x017F;e</hi>? &#x2014; &#x2014; &#x2014; Ich werde<lb/>
nachher die&#x017F;es Blatt der Chronik herübertragen zu jener<lb/>
&#x017F;chönen ältlichen Frau &#x2014; in No. 12 der Sperlingsga&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
deren Fortepianoklänge &#x017F;ich &#x017F;chon den ganzen Nachmittag<lb/>
über in meine Gedanken verwoben haben. &#x2014; Dann<lb/>
werden wir von <hi rendition="#g">Gu&#x017F;tav</hi> und <hi rendition="#g">Eli&#x017F;e</hi> &#x017F;prechen! &#x2014;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <dateline> <hi rendition="#right">Am 14. März. &#x2014;</hi> </dateline><lb/>
        <p>&#x201E;Hören Sie, Wachholder,&#x201C; &#x017F;agte heute Strobel,<lb/>
mit den zu&#x017F;ammengehefteten Bogen der Chronik auf&#x2019;s<lb/>
Knie &#x017F;chlagend, &#x201E;wenn Ihnen einmal Freund Hain das<lb/>
Lebenslicht ausgebla&#x017F;en hat; irgend Jemand unter ihrem<lb/>
Nachlaß die&#x017F;e Blätter aufwühlt, und er &#x017F;ich die Mühe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0221] meier hat Fräulein Julie Frey geheirathet und ſteht, — „mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der ſchöne Wahn entzwei,“ — fürchterlich unter dem Pantoffel. Die Frau Rector Dippelmann knüpft noch wie immer alle Morgen ihrem Gemahl die Halsbinde um, ſteckt ihm das Butterbrod, in die geſtrige Zeitung ge- wickelt, in die Rocktaſche und ſieht ihm ſtolz nach aus dem Fenſter, wie er über die Friedensbrücke nach dem Schimmelſtädtiſchen Gymnaſium wandelt. Und Guſtav und Eliſe? — — — Ich werde nachher dieſes Blatt der Chronik herübertragen zu jener ſchönen ältlichen Frau — in No. 12 der Sperlingsgaſſe, deren Fortepianoklänge ſich ſchon den ganzen Nachmittag über in meine Gedanken verwoben haben. — Dann werden wir von Guſtav und Eliſe ſprechen! — Am 14. März. — „Hören Sie, Wachholder,“ ſagte heute Strobel, mit den zuſammengehefteten Bogen der Chronik auf’s Knie ſchlagend, „wenn Ihnen einmal Freund Hain das Lebenslicht ausgeblaſen hat; irgend Jemand unter ihrem Nachlaß dieſe Blätter aufwühlt, und er ſich die Mühe 14*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/221
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/221>, abgerufen am 03.12.2024.