Es ist eigentlich eine böse Zeit! Das Lachen ist theuer geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Don- nerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krank- heit, Hunger und Noth ihren unheimlichen Schleier ge- legt; -- es ist eine böse Zeit! Dazu ist's Herbst, trauriger melancholischer Herbst, und ein feiner, kalter Vorwinter- regen rieselt schon wochenlang herab auf die große Stadt; -- es ist eine böse Zeit! Die Menschen haben lange Gesichter und schwere Herzen, und wenn sich zwei Be- kannte begegnen, zucken sie die Achsel und eilen fast ohne G[ru]ß an einander vorüber; -- es ist eine böse Zeit! -- Mißmuthig hatte ich die Zeitung weggeworfen, mir eine frische Pfeife gestopft, ein Buch herabgenommen und aufgeschlagen. Es war ein einfaches altes Buch, [i]n welches Meister Daniel Chodowiecki gar hübsche Bil- der gezeichnet hatte: Asmus omnia sua secum por-
1
Am 15. November. —
Es iſt eigentlich eine böſe Zeit! Das Lachen iſt theuer geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Don- nerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krank- heit, Hunger und Noth ihren unheimlichen Schleier ge- legt; — es iſt eine böſe Zeit! Dazu iſt’s Herbſt, trauriger melancholiſcher Herbſt, und ein feiner, kalter Vorwinter- regen rieſelt ſchon wochenlang herab auf die große Stadt; — es iſt eine böſe Zeit! Die Menſchen haben lange Geſichter und ſchwere Herzen, und wenn ſich zwei Be- kannte begegnen, zucken ſie die Achſel und eilen faſt ohne G[ru]ß an einander vorüber; — es iſt eine böſe Zeit! — Mißmuthig hatte ich die Zeitung weggeworfen, mir eine friſche Pfeife geſtopft, ein Buch herabgenommen und aufgeſchlagen. Es war ein einfaches altes Buch, [i]n welches Meiſter Daniel Chodowiecki gar hübſche Bil- der gezeichnet hatte: Asmus omnia sua secum por-
1
<TEI><text><body><pbfacs="#f0011"n="[1]"/><divn="1"><head/><dateline><hirendition="#right">Am 15. November. —</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>s iſt eigentlich eine böſe Zeit! Das Lachen iſt theuer<lb/>
geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar<lb/>
wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Don-<lb/>
nerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krank-<lb/>
heit, Hunger und Noth ihren unheimlichen Schleier ge-<lb/>
legt; — es iſt eine böſe Zeit! Dazu iſt’s Herbſt, trauriger<lb/>
melancholiſcher Herbſt, und ein feiner, kalter Vorwinter-<lb/>
regen rieſelt ſchon wochenlang herab auf die große Stadt;<lb/>— es iſt eine böſe Zeit! Die Menſchen haben lange<lb/>
Geſichter und ſchwere Herzen, und wenn ſich zwei Be-<lb/>
kannte begegnen, zucken ſie die Achſel und eilen faſt ohne<lb/>
G<supplied>ru</supplied>ß an einander vorüber; — es iſt eine böſe Zeit! —<lb/>
Mißmuthig hatte ich die Zeitung weggeworfen, mir<lb/>
eine friſche Pfeife geſtopft, ein Buch herabgenommen<lb/>
und aufgeſchlagen. Es war ein einfaches altes Buch,<lb/><supplied>i</supplied>n welches Meiſter Daniel Chodowiecki gar hübſche Bil-<lb/>
der gezeichnet hatte: <hirendition="#aq">Asmus omnia sua secum por-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">1</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[1]/0011]
Am 15. November. —
Es iſt eigentlich eine böſe Zeit! Das Lachen iſt theuer
geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar
wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Don-
nerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krank-
heit, Hunger und Noth ihren unheimlichen Schleier ge-
legt; — es iſt eine böſe Zeit! Dazu iſt’s Herbſt, trauriger
melancholiſcher Herbſt, und ein feiner, kalter Vorwinter-
regen rieſelt ſchon wochenlang herab auf die große Stadt;
— es iſt eine böſe Zeit! Die Menſchen haben lange
Geſichter und ſchwere Herzen, und wenn ſich zwei Be-
kannte begegnen, zucken ſie die Achſel und eilen faſt ohne
Gruß an einander vorüber; — es iſt eine böſe Zeit! —
Mißmuthig hatte ich die Zeitung weggeworfen, mir
eine friſche Pfeife geſtopft, ein Buch herabgenommen
und aufgeſchlagen. Es war ein einfaches altes Buch,
in welches Meiſter Daniel Chodowiecki gar hübſche Bil-
der gezeichnet hatte: Asmus omnia sua secum por-
1
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/11>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.