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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Menschen nicht in ihren Illusionen stören. Die alte
Frau da unten im Vogelsang zum Beispiel ist noch
immer der Meinung, daß ihr Söhnchen die Welt
durch seine Thatkraft überwunden habe und weiter
überwinden werde. Die scherzhafte Idee, in mir
einen Helden meinem Vater und dem Vaterland,
der Hebamme und der Menschheit überliefert zu haben,
hat sie so manches Jahr durch und vorzüglich jetzt
während meiner längeren Abwesenheit so fröhlich
und heiter aufrecht erhalten, daß es eine Sünde
wäre, ihr die Illusion zu nehmen. Hier hört auch
für mich das Spiel mit der Welt auf: das wäre ein
zu schlechter Spaß, Der nun noch als Wolke vor die
Abendsonne ziehen zu wollen! Beiläufig, ich habe
ihr einen ihr ausreichend imponirenden Haufen
Dollars auf den Tisch gelegt, soll ich vor ihr nun
auch meine leeren Taschen umwenden und ihr sagen:
Mama, Du hast vergeblich das letzte Grün aus dem
Vogelsang für das Geschöpf, das auch sehr, sehr
Dein Geschöpf ist, für den dummen Jungen, Deinen
Velten festgehalten!? -- Ich habe oft im Leben
Komödie spielen müssen, vorzüglich in den letzten
Jahren, und wie der Kaiser Augustus hätte ich mich
meiner Begabung dafür wohl rühmen dürfen: jetzt
und hier am Platz aber, dieser alten Frau gegenüber,
fällt es mir schwer, das Wort vom Schlafen, dem

Menſchen nicht in ihren Illuſionen ſtören. Die alte
Frau da unten im Vogelſang zum Beiſpiel iſt noch
immer der Meinung, daß ihr Söhnchen die Welt
durch ſeine Thatkraft überwunden habe und weiter
überwinden werde. Die ſcherzhafte Idee, in mir
einen Helden meinem Vater und dem Vaterland,
der Hebamme und der Menſchheit überliefert zu haben,
hat ſie ſo manches Jahr durch und vorzüglich jetzt
während meiner längeren Abweſenheit ſo fröhlich
und heiter aufrecht erhalten, daß es eine Sünde
wäre, ihr die Illuſion zu nehmen. Hier hört auch
für mich das Spiel mit der Welt auf: das wäre ein
zu ſchlechter Spaß, Der nun noch als Wolke vor die
Abendſonne ziehen zu wollen! Beiläufig, ich habe
ihr einen ihr ausreichend imponirenden Haufen
Dollars auf den Tiſch gelegt, ſoll ich vor ihr nun
auch meine leeren Taſchen umwenden und ihr ſagen:
Mama, Du haſt vergeblich das letzte Grün aus dem
Vogelſang für das Geſchöpf, das auch ſehr, ſehr
Dein Geſchöpf iſt, für den dummen Jungen, Deinen
Velten feſtgehalten!? — Ich habe oft im Leben
Komödie ſpielen müſſen, vorzüglich in den letzten
Jahren, und wie der Kaiſer Auguſtus hätte ich mich
meiner Begabung dafür wohl rühmen dürfen: jetzt
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[228/0238] Menſchen nicht in ihren Illuſionen ſtören. Die alte Frau da unten im Vogelſang zum Beiſpiel iſt noch immer der Meinung, daß ihr Söhnchen die Welt durch ſeine Thatkraft überwunden habe und weiter überwinden werde. Die ſcherzhafte Idee, in mir einen Helden meinem Vater und dem Vaterland, der Hebamme und der Menſchheit überliefert zu haben, hat ſie ſo manches Jahr durch und vorzüglich jetzt während meiner längeren Abweſenheit ſo fröhlich und heiter aufrecht erhalten, daß es eine Sünde wäre, ihr die Illuſion zu nehmen. Hier hört auch für mich das Spiel mit der Welt auf: das wäre ein zu ſchlechter Spaß, Der nun noch als Wolke vor die Abendſonne ziehen zu wollen! Beiläufig, ich habe ihr einen ihr ausreichend imponirenden Haufen Dollars auf den Tiſch gelegt, ſoll ich vor ihr nun auch meine leeren Taſchen umwenden und ihr ſagen: Mama, Du haſt vergeblich das letzte Grün aus dem Vogelſang für das Geſchöpf, das auch ſehr, ſehr Dein Geſchöpf iſt, für den dummen Jungen, Deinen Velten feſtgehalten!? — Ich habe oft im Leben Komödie ſpielen müſſen, vorzüglich in den letzten Jahren, und wie der Kaiſer Auguſtus hätte ich mich meiner Begabung dafür wohl rühmen dürfen: jetzt und hier am Platz aber, dieſer alten Frau gegenüber, fällt es mir ſchwer, das Wort vom Schlafen, dem

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/238>, abgerufen am 27.04.2024.