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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Stütze; ich wiederholte mir im Innersten das Ver¬
sprechen, welches ich dem Freunde gegeben hatte.

Als wir das Getümmel hinter uns hatten, sah
sie sich wie erschreckt um, wie man sich umsieht, wenn
man etwas sehr Wichtiges hinter sich vergessen, oder
etwas sehr Werthvolles verloren zu haben glaubt. Dann
aber faßte sie meinen Arm mit beiden Händen, in¬
dem sie stehen blieb, zu mir glanzvoll aufsah und rief:

"Und das mußt Du doch selber sagen, bester
Karl, daß ihr Alle bis jetzt ihm gegenüber doch immer
Unrecht behalten habt! O, bitte, sprich mir nicht
dagegen! Ich habe meine Lust an ihm, meinen
Glauben an ihn, meine Hoffnung auf ihn, von jetzt
an freilich nöthiger denn je. O ihr Alle, Alle! Wir
sind so gute Nachbarn gewesen unser ganzes Leben
lang -- laßt es uns bleiben -- wir sind ja nur
noch so wenige beisammen! Sieh, das ist nun mein
dummer phantastischer Kopf: jetzt ist es doch wieder
ganz anders mit der Welt in Licht und Farbe, als wie
es noch vor fünf Minuten war! Da sah ich ihm noch
in die Augen und mit seinem Sieg über die Welt
auch den meinigen drin. Diese entsetzliche Blech¬
musik da hinter uns! . . . Wie die Leute doch so
vergnügt sein können und so geschäftig-eilig! Bitte,
laß uns etwas rascher gehen! -- Wozu denn
dieser Lärm, diese fürchterliche Eile in der Welt?

Stütze; ich wiederholte mir im Innerſten das Ver¬
ſprechen, welches ich dem Freunde gegeben hatte.

Als wir das Getümmel hinter uns hatten, ſah
ſie ſich wie erſchreckt um, wie man ſich umſieht, wenn
man etwas ſehr Wichtiges hinter ſich vergeſſen, oder
etwas ſehr Werthvolles verloren zu haben glaubt. Dann
aber faßte ſie meinen Arm mit beiden Händen, in¬
dem ſie ſtehen blieb, zu mir glanzvoll aufſah und rief:

„Und das mußt Du doch ſelber ſagen, beſter
Karl, daß ihr Alle bis jetzt ihm gegenüber doch immer
Unrecht behalten habt! O, bitte, ſprich mir nicht
dagegen! Ich habe meine Luſt an ihm, meinen
Glauben an ihn, meine Hoffnung auf ihn, von jetzt
an freilich nöthiger denn je. O ihr Alle, Alle! Wir
ſind ſo gute Nachbarn geweſen unſer ganzes Leben
lang — laßt es uns bleiben — wir ſind ja nur
noch ſo wenige beiſammen! Sieh, das iſt nun mein
dummer phantaſtiſcher Kopf: jetzt iſt es doch wieder
ganz anders mit der Welt in Licht und Farbe, als wie
es noch vor fünf Minuten war! Da ſah ich ihm noch
in die Augen und mit ſeinem Sieg über die Welt
auch den meinigen drin. Dieſe entſetzliche Blech¬
muſik da hinter uns! . . . Wie die Leute doch ſo
vergnügt ſein können und ſo geſchäftig-eilig! Bitte,
laß uns etwas raſcher gehen! — Wozu denn
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[165/0175] Stütze; ich wiederholte mir im Innerſten das Ver¬ ſprechen, welches ich dem Freunde gegeben hatte. Als wir das Getümmel hinter uns hatten, ſah ſie ſich wie erſchreckt um, wie man ſich umſieht, wenn man etwas ſehr Wichtiges hinter ſich vergeſſen, oder etwas ſehr Werthvolles verloren zu haben glaubt. Dann aber faßte ſie meinen Arm mit beiden Händen, in¬ dem ſie ſtehen blieb, zu mir glanzvoll aufſah und rief: „Und das mußt Du doch ſelber ſagen, beſter Karl, daß ihr Alle bis jetzt ihm gegenüber doch immer Unrecht behalten habt! O, bitte, ſprich mir nicht dagegen! Ich habe meine Luſt an ihm, meinen Glauben an ihn, meine Hoffnung auf ihn, von jetzt an freilich nöthiger denn je. O ihr Alle, Alle! Wir ſind ſo gute Nachbarn geweſen unſer ganzes Leben lang — laßt es uns bleiben — wir ſind ja nur noch ſo wenige beiſammen! Sieh, das iſt nun mein dummer phantaſtiſcher Kopf: jetzt iſt es doch wieder ganz anders mit der Welt in Licht und Farbe, als wie es noch vor fünf Minuten war! Da ſah ich ihm noch in die Augen und mit ſeinem Sieg über die Welt auch den meinigen drin. Dieſe entſetzliche Blech¬ muſik da hinter uns! . . . Wie die Leute doch ſo vergnügt ſein können und ſo geſchäftig-eilig! Bitte, laß uns etwas raſcher gehen! — Wozu denn dieſer Lärm, dieſe fürchterliche Eile in der Welt?

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/175>, abgerufen am 26.04.2024.