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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Welt außerhalb des Familienzauberthurms vergeblich
gesucht hatte -- einen von der allgemeinen Heerstraße
gleich ihm verlaufenen Genossen, der in der rechten
Weise über ihn lachte und ihm mit jedem Lachen
und Lächeln und durch jeden kameradschaftlichen
Schlag auf die Schulter, jedes Zupfen am Ohr
das Herz mit in die Höhe hinaufnahm. Nein,
das Herz nicht; nur den Kopf. --

Kein Hund und keine Liebende konnten um
diese Lebensstunde auf den Geliebten, den Herrn und
den Freund genauer achtgeben, besorgt-freudiger auf
jedes Wort, jeden Wink, jede Bewegung beim stillen
Nebeneinander und im menschenvollen Gesellschafts¬
zimmer, kurz, bei jeder Lebenskomödienscene passen,
als Leon und Leonie des Beaux auf Alles, was
Velten Andres sagte und that, oder -- nicht sagte
und nicht that. Daß er das so deutlich wußte wie
ich, glaube ich nicht: sein späterer Lebensweg spricht
dagegen. Er war es eben zu sehr gewöhnt, daß die
Leute ihm nachsahen, und er nicht über sie hinweg,
sondern durch sie durch in seine Welt hinein auf
seine Weise, die nur sehr selten mit der -- unsrigen
übereinstimmte. Mit der unsrigen! denn wie oft habe
ich schon zu Hause, im Vogelsang, den Vernünftigen
dort Recht geben müssen, wenn sie meinten: "Der
Junge ist rein verrückt!" --

Welt außerhalb des Familienzauberthurms vergeblich
geſucht hatte — einen von der allgemeinen Heerſtraße
gleich ihm verlaufenen Genoſſen, der in der rechten
Weiſe über ihn lachte und ihm mit jedem Lachen
und Lächeln und durch jeden kameradſchaftlichen
Schlag auf die Schulter, jedes Zupfen am Ohr
das Herz mit in die Höhe hinaufnahm. Nein,
das Herz nicht; nur den Kopf. —

Kein Hund und keine Liebende konnten um
dieſe Lebensſtunde auf den Geliebten, den Herrn und
den Freund genauer achtgeben, beſorgt-freudiger auf
jedes Wort, jeden Wink, jede Bewegung beim ſtillen
Nebeneinander und im menſchenvollen Geſellſchafts¬
zimmer, kurz, bei jeder Lebenskomödienſcene paſſen,
als Leon und Leonie des Beaux auf Alles, was
Velten Andres ſagte und that, oder — nicht ſagte
und nicht that. Daß er das ſo deutlich wußte wie
ich, glaube ich nicht: ſein ſpäterer Lebensweg ſpricht
dagegen. Er war es eben zu ſehr gewöhnt, daß die
Leute ihm nachſahen, und er nicht über ſie hinweg,
ſondern durch ſie durch in ſeine Welt hinein auf
ſeine Weiſe, die nur ſehr ſelten mit der — unſrigen
übereinſtimmte. Mit der unſrigen! denn wie oft habe
ich ſchon zu Hauſe, im Vogelſang, den Vernünftigen
dort Recht geben müſſen, wenn ſie meinten: „Der
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[133/0143] Welt außerhalb des Familienzauberthurms vergeblich geſucht hatte — einen von der allgemeinen Heerſtraße gleich ihm verlaufenen Genoſſen, der in der rechten Weiſe über ihn lachte und ihm mit jedem Lachen und Lächeln und durch jeden kameradſchaftlichen Schlag auf die Schulter, jedes Zupfen am Ohr das Herz mit in die Höhe hinaufnahm. Nein, das Herz nicht; nur den Kopf. — Kein Hund und keine Liebende konnten um dieſe Lebensſtunde auf den Geliebten, den Herrn und den Freund genauer achtgeben, beſorgt-freudiger auf jedes Wort, jeden Wink, jede Bewegung beim ſtillen Nebeneinander und im menſchenvollen Geſellſchafts¬ zimmer, kurz, bei jeder Lebenskomödienſcene paſſen, als Leon und Leonie des Beaux auf Alles, was Velten Andres ſagte und that, oder — nicht ſagte und nicht that. Daß er das ſo deutlich wußte wie ich, glaube ich nicht: ſein ſpäterer Lebensweg ſpricht dagegen. Er war es eben zu ſehr gewöhnt, daß die Leute ihm nachſahen, und er nicht über ſie hinweg, ſondern durch ſie durch in ſeine Welt hinein auf ſeine Weiſe, die nur ſehr ſelten mit der — unſrigen übereinſtimmte. Mit der unſrigen! denn wie oft habe ich ſchon zu Hauſe, im Vogelſang, den Vernünftigen dort Recht geben müſſen, wenn ſie meinten: „Der Junge iſt rein verrückt!“ —

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/143>, abgerufen am 26.04.2024.