Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

stadt jahrelang nach der aussuchen können, ohne sie
zu finden: auf ihren jetzigen jungen Herrn, auf
"ihren Velten" schien sie schon jahrelang gewartet
zu haben, um, "was sehr nöthig war", Mutterstelle
an ihm zu vertreten.

Wir klopften schon am zweiten Abend unseres
Zusammenseins an ihre Thür, und er stellte mich
der kleinen Dame vor mit den Worten:

"Hier ist noch Einer aus dem Vogelsang, gnä¬
dige Frau. Ein bißchen langweilig, aber sonst auch
ein guter Kerl und erziehungsfähig, sogar ein wenig
über das Maß seiner Bildungsbedürftigkeit hinaus."

Dem naseweisen, scharfmäuligen Pennal einen
"dummen Jungen" aufzubrummen, wäre wohl das
Sachgemäße gewesen, aber wie immer kam ich auch
jetzt nicht dazu, meine Stellung dem Knaben gegen¬
über zu wahren.

"Von Jena?" fragte die elfenhafte kleine Greisin,
noch immer die Klinke ihrer Thür in der Hand
haltend.

"Von Göttingen."

"War zur Zeit meines Seligen auch noch ein
anständiger Aufenthalt. Bitte näher zu treten, Herr,
wenn ich recht gehört habe: Studiosus juris Krum¬
hardt?"

Ich konnte das nur bestätigen; aber mußte mich

ſtadt jahrelang nach der ausſuchen können, ohne ſie
zu finden: auf ihren jetzigen jungen Herrn, auf
„ihren Velten“ ſchien ſie ſchon jahrelang gewartet
zu haben, um, „was ſehr nöthig war“, Mutterſtelle
an ihm zu vertreten.

Wir klopften ſchon am zweiten Abend unſeres
Zuſammenſeins an ihre Thür, und er ſtellte mich
der kleinen Dame vor mit den Worten:

„Hier iſt noch Einer aus dem Vogelſang, gnä¬
dige Frau. Ein bißchen langweilig, aber ſonſt auch
ein guter Kerl und erziehungsfähig, ſogar ein wenig
über das Maß ſeiner Bildungsbedürftigkeit hinaus.“

Dem naſeweiſen, ſcharfmäuligen Pennal einen
„dummen Jungen“ aufzubrummen, wäre wohl das
Sachgemäße geweſen, aber wie immer kam ich auch
jetzt nicht dazu, meine Stellung dem Knaben gegen¬
über zu wahren.

„Von Jena?“ fragte die elfenhafte kleine Greiſin,
noch immer die Klinke ihrer Thür in der Hand
haltend.

„Von Göttingen.“

„War zur Zeit meines Seligen auch noch ein
anſtändiger Aufenthalt. Bitte näher zu treten, Herr,
wenn ich recht gehört habe: Studioſus juris Krum¬
hardt?“

Ich konnte das nur beſtätigen; aber mußte mich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0121" n="111"/>
&#x017F;tadt jahrelang nach der aus&#x017F;uchen können, ohne &#x017F;ie<lb/>
zu finden: auf ihren jetzigen jungen Herrn, auf<lb/>
&#x201E;ihren Velten&#x201C; &#x017F;chien &#x017F;ie &#x017F;chon jahrelang gewartet<lb/>
zu haben, um, &#x201E;was &#x017F;ehr nöthig war&#x201C;, Mutter&#x017F;telle<lb/>
an ihm zu vertreten.</p><lb/>
      <p>Wir klopften &#x017F;chon am zweiten Abend un&#x017F;eres<lb/>
Zu&#x017F;ammen&#x017F;eins an ihre Thür, und er &#x017F;tellte mich<lb/>
der kleinen Dame vor mit den Worten:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Hier i&#x017F;t noch Einer aus dem Vogel&#x017F;ang, gnä¬<lb/>
dige Frau. Ein bißchen langweilig, aber &#x017F;on&#x017F;t auch<lb/>
ein guter Kerl und erziehungsfähig, &#x017F;ogar ein wenig<lb/>
über das Maß &#x017F;einer Bildungsbedürftigkeit hinaus.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Dem na&#x017F;ewei&#x017F;en, &#x017F;charfmäuligen Pennal einen<lb/>
&#x201E;dummen Jungen&#x201C; aufzubrummen, wäre wohl das<lb/>
Sachgemäße gewe&#x017F;en, aber wie immer kam ich auch<lb/>
jetzt nicht dazu, meine Stellung dem Knaben gegen¬<lb/>
über zu wahren.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Von Jena?&#x201C; fragte die elfenhafte kleine Grei&#x017F;in,<lb/>
noch immer die Klinke ihrer Thür in der Hand<lb/>
haltend.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Von Göttingen.&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;War zur Zeit meines Seligen auch noch ein<lb/>
an&#x017F;tändiger Aufenthalt. Bitte näher zu treten, Herr,<lb/>
wenn ich recht gehört habe: Studio&#x017F;us juris Krum¬<lb/>
hardt?&#x201C;</p><lb/>
      <p>Ich konnte das nur be&#x017F;tätigen; aber mußte mich<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0121] ſtadt jahrelang nach der ausſuchen können, ohne ſie zu finden: auf ihren jetzigen jungen Herrn, auf „ihren Velten“ ſchien ſie ſchon jahrelang gewartet zu haben, um, „was ſehr nöthig war“, Mutterſtelle an ihm zu vertreten. Wir klopften ſchon am zweiten Abend unſeres Zuſammenſeins an ihre Thür, und er ſtellte mich der kleinen Dame vor mit den Worten: „Hier iſt noch Einer aus dem Vogelſang, gnä¬ dige Frau. Ein bißchen langweilig, aber ſonſt auch ein guter Kerl und erziehungsfähig, ſogar ein wenig über das Maß ſeiner Bildungsbedürftigkeit hinaus.“ Dem naſeweiſen, ſcharfmäuligen Pennal einen „dummen Jungen“ aufzubrummen, wäre wohl das Sachgemäße geweſen, aber wie immer kam ich auch jetzt nicht dazu, meine Stellung dem Knaben gegen¬ über zu wahren. „Von Jena?“ fragte die elfenhafte kleine Greiſin, noch immer die Klinke ihrer Thür in der Hand haltend. „Von Göttingen.“ „War zur Zeit meines Seligen auch noch ein anſtändiger Aufenthalt. Bitte näher zu treten, Herr, wenn ich recht gehört habe: Studioſus juris Krum¬ hardt?“ Ich konnte das nur beſtätigen; aber mußte mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/121
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/121>, abgerufen am 26.04.2024.