Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

nur nur in pathetischen und langsamen, oder in ernsthaften geschwinden Stücken statt.

5. §.

Die Absicht der Cadenz ist keine andere, als die Zuhörer noch einmal bey dem Ende unvermuthet zu überraschen, und noch einen besonderen Eindruck in ihrem Gemüthe zurück zu lassen. Deswegen würde, dieser Absicht gemäß, in einem Stücke eine einzige Cadenz genug seyn. Es ist folglich wohl als ein Misbrauch anzusehen, wenn ein Sänger im ersten Theile der Arie zwo, und im zweyten Theile auch noch eine Cadenz machet: denn auf diese Art kommen, wegen des Da Capo, fünf Cadenzen in eine Arie. Ein solcher Ueberfluß kann nicht nur den Zuhörer leicht ermüden; zumal wenn die Cadenzen, wie sehr oft geschieht, einander immer ähnlich sehen: sondern er giebt auch einem an Erfindung nicht gar zu reichen Sänger Gelegenheit, sich desto eher zu erschöpfen. Machet aber der Sänger nur beym Hauptschlusse eine Cadenz; so bleibt er im Vortheile, und der Zuhörer bey Appetite.

6. §.

Es ist zwar nicht zu läugnen, daß die Cadenzen, wenn sie so gerathen, wie es die Sache erfodert, und am rechten Orte angebracht werden, zu einer Zierde dienen. Man wird aber auch einräumen, daß sie, da sie selten von rechter Art sind, gleichsam, und zumal beym Singen, nur zu einem nothwendigen Uebel gediehen sind. Wenn keine gemachet werden, so hält man es für einen großen Mangel. Mancher aber würde sein Stück mit mehr Ehre beschließen, wenn er gar keine Cadenz machete. Indessen will oder muß ein jeder, der sich mit Singen oder Solospielen abgiebt, Cadenzen machen. Weil aber nicht allen die Vortheile und die rechte Art derselben bekannt sind: so fällt diese Mode dem größten Theile zur Last.

7. §.

Regeln von Cadenzen sind, wie ich schon gesaget habe, noch niemals gegeben worden. Es würde auch schwer fallen, Gedanken, die willkührlich sind, die keine förmliche Melodie ausmachen sollen, zu welchen keine Grundstimme statt findet, deren Umfang, in Ansehung der Tonarten welche man berühren darf, sehr klein ist, und die überhaupt nur als ein Ohngefähr klingen sollen, in Regeln einzuschließen. Doch giebt es einige aus der Setzkunst fließende Vortheile, deren man sich bedienen kann, wenn man nicht, wie Viele thun, die Cadenzen nur nach dem Gehöre,

nur nur in pathetischen und langsamen, oder in ernsthaften geschwinden Stücken statt.

5. §.

Die Absicht der Cadenz ist keine andere, als die Zuhörer noch einmal bey dem Ende unvermuthet zu überraschen, und noch einen besonderen Eindruck in ihrem Gemüthe zurück zu lassen. Deswegen würde, dieser Absicht gemäß, in einem Stücke eine einzige Cadenz genug seyn. Es ist folglich wohl als ein Misbrauch anzusehen, wenn ein Sänger im ersten Theile der Arie zwo, und im zweyten Theile auch noch eine Cadenz machet: denn auf diese Art kommen, wegen des Da Capo, fünf Cadenzen in eine Arie. Ein solcher Ueberfluß kann nicht nur den Zuhörer leicht ermüden; zumal wenn die Cadenzen, wie sehr oft geschieht, einander immer ähnlich sehen: sondern er giebt auch einem an Erfindung nicht gar zu reichen Sänger Gelegenheit, sich desto eher zu erschöpfen. Machet aber der Sänger nur beym Hauptschlusse eine Cadenz; so bleibt er im Vortheile, und der Zuhörer bey Appetite.

6. §.

Es ist zwar nicht zu läugnen, daß die Cadenzen, wenn sie so gerathen, wie es die Sache erfodert, und am rechten Orte angebracht werden, zu einer Zierde dienen. Man wird aber auch einräumen, daß sie, da sie selten von rechter Art sind, gleichsam, und zumal beym Singen, nur zu einem nothwendigen Uebel gediehen sind. Wenn keine gemachet werden, so hält man es für einen großen Mangel. Mancher aber würde sein Stück mit mehr Ehre beschließen, wenn er gar keine Cadenz machete. Indessen will oder muß ein jeder, der sich mit Singen oder Solospielen abgiebt, Cadenzen machen. Weil aber nicht allen die Vortheile und die rechte Art derselben bekannt sind: so fällt diese Mode dem größten Theile zur Last.

7. §.

Regeln von Cadenzen sind, wie ich schon gesaget habe, noch niemals gegeben worden. Es würde auch schwer fallen, Gedanken, die willkührlich sind, die keine förmliche Melodie ausmachen sollen, zu welchen keine Grundstimme statt findet, deren Umfang, in Ansehung der Tonarten welche man berühren darf, sehr klein ist, und die überhaupt nur als ein Ohngefähr klingen sollen, in Regeln einzuschließen. Doch giebt es einige aus der Setzkunst fließende Vortheile, deren man sich bedienen kann, wenn man nicht, wie Viele thun, die Cadenzen nur nach dem Gehöre,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0167" n="153"/>
nur nur in pathetischen und langsamen, oder in ernsthaften geschwinden Stücken statt.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <head>5. §.</head><lb/>
            <p>Die Absicht der Cadenz ist keine andere, als die Zuhörer noch einmal bey dem Ende unvermuthet zu überraschen, und noch einen besonderen Eindruck in ihrem Gemüthe zurück zu lassen. Deswegen würde, dieser Absicht gemäß, in einem Stücke eine einzige Cadenz genug seyn. Es ist folglich wohl als ein Misbrauch anzusehen, wenn ein Sänger im ersten Theile der Arie zwo, und im zweyten Theile auch noch eine Cadenz machet: denn auf diese Art kommen, wegen des Da Capo, fünf Cadenzen in eine Arie. Ein solcher Ueberfluß kann nicht nur den Zuhörer leicht ermüden; zumal wenn die Cadenzen, wie sehr oft geschieht, einander immer ähnlich sehen: sondern er giebt auch einem an Erfindung nicht gar zu reichen Sänger Gelegenheit, sich desto eher zu erschöpfen. Machet aber der Sänger nur beym Hauptschlusse eine Cadenz; so bleibt er im Vortheile, und der Zuhörer bey Appetite.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <head>6. §.</head><lb/>
            <p>Es ist zwar nicht zu läugnen, daß die Cadenzen, wenn sie so gerathen, wie es die Sache erfodert, und am rechten Orte angebracht werden, zu einer Zierde dienen. Man wird aber auch einräumen, daß sie, da sie selten von rechter Art sind, gleichsam, und zumal beym Singen, nur zu einem nothwendigen Uebel gediehen sind. Wenn keine gemachet werden, so hält man es für einen großen Mangel. Mancher aber würde sein Stück mit mehr Ehre beschließen, wenn er gar keine Cadenz machete. Indessen will oder muß ein jeder, der sich mit Singen oder Solospielen abgiebt, Cadenzen machen. Weil aber nicht allen die Vortheile und die rechte Art derselben bekannt sind: so fällt diese Mode dem größten Theile zur Last.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <head>7. §.</head><lb/>
            <p>Regeln von Cadenzen sind, wie ich schon gesaget habe, noch niemals gegeben worden. Es würde auch schwer fallen, Gedanken, die willkührlich sind, die keine förmliche Melodie ausmachen sollen, zu welchen keine Grundstimme statt findet, deren Umfang, in Ansehung der Tonarten welche man berühren darf, sehr klein ist, und die überhaupt nur als ein Ohngefähr klingen sollen, in Regeln einzuschließen. Doch giebt es einige aus der Setzkunst fließende Vortheile, deren man sich bedienen kann, wenn man nicht, wie Viele thun, die Cadenzen nur nach dem Gehöre,
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0167] nur nur in pathetischen und langsamen, oder in ernsthaften geschwinden Stücken statt. 5. §. Die Absicht der Cadenz ist keine andere, als die Zuhörer noch einmal bey dem Ende unvermuthet zu überraschen, und noch einen besonderen Eindruck in ihrem Gemüthe zurück zu lassen. Deswegen würde, dieser Absicht gemäß, in einem Stücke eine einzige Cadenz genug seyn. Es ist folglich wohl als ein Misbrauch anzusehen, wenn ein Sänger im ersten Theile der Arie zwo, und im zweyten Theile auch noch eine Cadenz machet: denn auf diese Art kommen, wegen des Da Capo, fünf Cadenzen in eine Arie. Ein solcher Ueberfluß kann nicht nur den Zuhörer leicht ermüden; zumal wenn die Cadenzen, wie sehr oft geschieht, einander immer ähnlich sehen: sondern er giebt auch einem an Erfindung nicht gar zu reichen Sänger Gelegenheit, sich desto eher zu erschöpfen. Machet aber der Sänger nur beym Hauptschlusse eine Cadenz; so bleibt er im Vortheile, und der Zuhörer bey Appetite. 6. §. Es ist zwar nicht zu läugnen, daß die Cadenzen, wenn sie so gerathen, wie es die Sache erfodert, und am rechten Orte angebracht werden, zu einer Zierde dienen. Man wird aber auch einräumen, daß sie, da sie selten von rechter Art sind, gleichsam, und zumal beym Singen, nur zu einem nothwendigen Uebel gediehen sind. Wenn keine gemachet werden, so hält man es für einen großen Mangel. Mancher aber würde sein Stück mit mehr Ehre beschließen, wenn er gar keine Cadenz machete. Indessen will oder muß ein jeder, der sich mit Singen oder Solospielen abgiebt, Cadenzen machen. Weil aber nicht allen die Vortheile und die rechte Art derselben bekannt sind: so fällt diese Mode dem größten Theile zur Last. 7. §. Regeln von Cadenzen sind, wie ich schon gesaget habe, noch niemals gegeben worden. Es würde auch schwer fallen, Gedanken, die willkührlich sind, die keine förmliche Melodie ausmachen sollen, zu welchen keine Grundstimme statt findet, deren Umfang, in Ansehung der Tonarten welche man berühren darf, sehr klein ist, und die überhaupt nur als ein Ohngefähr klingen sollen, in Regeln einzuschließen. Doch giebt es einige aus der Setzkunst fließende Vortheile, deren man sich bedienen kann, wenn man nicht, wie Viele thun, die Cadenzen nur nach dem Gehöre,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-30T10:17:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-30T10:17:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-30T10:17:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/167
Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/167>, abgerufen am 21.12.2024.