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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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und eine Musik zu beurtheilen sey.
20. §.

Bey der Kirchenmusik der Protestanten kommen von oben er-
zählten Stücken noch vor: Ein Theil von der Messe, nämlich
das Kyrie und das Gloria, das Magnificat, das Te Deum,
einige Psalmen, und die Oratoria,
mit welchen die, aus dem
prosaischen biblischen Texte, mit untermischeten Arien und einigen poe-
tischen Recitativen, bestehenden Passionsmusiken einige Verwandt-
schaft haben. Das übrige besteht aus Musiken über willkührliche Texte,
die meistens im Cantatenstyle, mit untermischeten biblischen Sprüchen
welche nach Art der Psalmen ausgearbeitet werden, gesetzet sind. Der
Text hiervon ist entweder auf die Sonn- und Festtagsevangelien, oder
auf gewisse besondere Umstände, als Trauer- und Trauungsmusiken, ge-
richtet. Die Anthems der Engländer werden gemeiniglich nach Art
der Psalmen ausgearbeitet; weil sie größtentheils aus biblischen Worten
bestehen.

21. §.

Ueberhaupt wird zur Kirchenmusik, sie möge bestehen worinn sie
wolle, eine ernsthafte und andächtige Art der Composition, und der Aus-
führung, erfodert. Sie muß vom Opernstyle sehr unterschieden seyn.
Es wäre zu wünschen, daß solches, um den dabey gesucheten Entzweck
zu erreichen, allemal, besonders von den Componisten gehörig beobach-
tet würde. Bey Beurtheilung einer Kirchenmusik, welche entweder zum
Lobe des Allerhöchsten aufmuntern, oder zur Andacht erwecken, oder
zur Traurigkeit bewegen soll, muß man Acht haben, ob die Absicht, vom
Anfange bis zum Ende beobachtet, der Charakter einer jeden Art unter-
halten, und nichts, was demselben zuwider ist, mit eingemischet worden
sey. Hier hat ein Componist Gelegenheit, seine Stärke sowohl in der
sogenannten arbeitsamen, als in der rührenden und einnehmenden Schreib-
art, (diese ist aber der höchste Grad der musikalischen Wissenschaft,)
zu zeigen.

22. §.

Man wolle nicht glauben, daß bey der Kirchenmusik lauter soge-
nannte Pedanterey vorkommen müsse. Die Leidenschaften, ob gleich
ihre Gegenstände unterschieden sind, müssen hier sowohl, ja noch sorg-
fältiger als auf dem Theater, erreget werden. Die Andacht setzet ihnen
nur hier die Gränzen. Ein Componist, der in der Kirche nicht rühren
kann, wo er eingeschränkter ist, wird dasselbe auf dem Theater, wo er

mehrere
O o
und eine Muſik zu beurtheilen ſey.
20. §.

Bey der Kirchenmuſik der Proteſtanten kommen von oben er-
zaͤhlten Stuͤcken noch vor: Ein Theil von der Meſſe, naͤmlich
das Kyrie und das Gloria, das Magnificat, das Te Deum,
einige Pſalmen, und die Oratoria,
mit welchen die, aus dem
proſaiſchen bibliſchen Texte, mit untermiſcheten Arien und einigen poe-
tiſchen Recitativen, beſtehenden Paſſionsmuſiken einige Verwandt-
ſchaft haben. Das uͤbrige beſteht aus Muſiken uͤber willkuͤhrliche Texte,
die meiſtens im Cantatenſtyle, mit untermiſcheten bibliſchen Spruͤchen
welche nach Art der Pſalmen ausgearbeitet werden, geſetzet ſind. Der
Text hiervon iſt entweder auf die Sonn- und Feſttagsevangelien, oder
auf gewiſſe beſondere Umſtaͤnde, als Trauer- und Trauungsmuſiken, ge-
richtet. Die Anthems der Englaͤnder werden gemeiniglich nach Art
der Pſalmen ausgearbeitet; weil ſie groͤßtentheils aus bibliſchen Worten
beſtehen.

21. §.

Ueberhaupt wird zur Kirchenmuſik, ſie moͤge beſtehen worinn ſie
wolle, eine ernſthafte und andaͤchtige Art der Compoſition, und der Aus-
fuͤhrung, erfodert. Sie muß vom Opernſtyle ſehr unterſchieden ſeyn.
Es waͤre zu wuͤnſchen, daß ſolches, um den dabey geſucheten Entzweck
zu erreichen, allemal, beſonders von den Componiſten gehoͤrig beobach-
tet wuͤrde. Bey Beurtheilung einer Kirchenmuſik, welche entweder zum
Lobe des Allerhoͤchſten aufmuntern, oder zur Andacht erwecken, oder
zur Traurigkeit bewegen ſoll, muß man Acht haben, ob die Abſicht, vom
Anfange bis zum Ende beobachtet, der Charakter einer jeden Art unter-
halten, und nichts, was demſelben zuwider iſt, mit eingemiſchet worden
ſey. Hier hat ein Componiſt Gelegenheit, ſeine Staͤrke ſowohl in der
ſogenannten arbeitſamen, als in der ruͤhrenden und einnehmenden Schreib-
art, (dieſe iſt aber der hoͤchſte Grad der muſikaliſchen Wiſſenſchaft,)
zu zeigen.

22. §.

Man wolle nicht glauben, daß bey der Kirchenmuſik lauter ſoge-
nannte Pedanterey vorkommen muͤſſe. Die Leidenſchaften, ob gleich
ihre Gegenſtaͤnde unterſchieden ſind, muͤſſen hier ſowohl, ja noch ſorg-
faͤltiger als auf dem Theater, erreget werden. Die Andacht ſetzet ihnen
nur hier die Graͤnzen. Ein Componiſt, der in der Kirche nicht ruͤhren
kann, wo er eingeſchraͤnkter iſt, wird daſſelbe auf dem Theater, wo er

mehrere
O o
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[289/0307] und eine Muſik zu beurtheilen ſey. 20. §. Bey der Kirchenmuſik der Proteſtanten kommen von oben er- zaͤhlten Stuͤcken noch vor: Ein Theil von der Meſſe, naͤmlich das Kyrie und das Gloria, das Magnificat, das Te Deum, einige Pſalmen, und die Oratoria, mit welchen die, aus dem proſaiſchen bibliſchen Texte, mit untermiſcheten Arien und einigen poe- tiſchen Recitativen, beſtehenden Paſſionsmuſiken einige Verwandt- ſchaft haben. Das uͤbrige beſteht aus Muſiken uͤber willkuͤhrliche Texte, die meiſtens im Cantatenſtyle, mit untermiſcheten bibliſchen Spruͤchen welche nach Art der Pſalmen ausgearbeitet werden, geſetzet ſind. Der Text hiervon iſt entweder auf die Sonn- und Feſttagsevangelien, oder auf gewiſſe beſondere Umſtaͤnde, als Trauer- und Trauungsmuſiken, ge- richtet. Die Anthems der Englaͤnder werden gemeiniglich nach Art der Pſalmen ausgearbeitet; weil ſie groͤßtentheils aus bibliſchen Worten beſtehen. 21. §. Ueberhaupt wird zur Kirchenmuſik, ſie moͤge beſtehen worinn ſie wolle, eine ernſthafte und andaͤchtige Art der Compoſition, und der Aus- fuͤhrung, erfodert. Sie muß vom Opernſtyle ſehr unterſchieden ſeyn. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß ſolches, um den dabey geſucheten Entzweck zu erreichen, allemal, beſonders von den Componiſten gehoͤrig beobach- tet wuͤrde. Bey Beurtheilung einer Kirchenmuſik, welche entweder zum Lobe des Allerhoͤchſten aufmuntern, oder zur Andacht erwecken, oder zur Traurigkeit bewegen ſoll, muß man Acht haben, ob die Abſicht, vom Anfange bis zum Ende beobachtet, der Charakter einer jeden Art unter- halten, und nichts, was demſelben zuwider iſt, mit eingemiſchet worden ſey. Hier hat ein Componiſt Gelegenheit, ſeine Staͤrke ſowohl in der ſogenannten arbeitſamen, als in der ruͤhrenden und einnehmenden Schreib- art, (dieſe iſt aber der hoͤchſte Grad der muſikaliſchen Wiſſenſchaft,) zu zeigen. 22. §. Man wolle nicht glauben, daß bey der Kirchenmuſik lauter ſoge- nannte Pedanterey vorkommen muͤſſe. Die Leidenſchaften, ob gleich ihre Gegenſtaͤnde unterſchieden ſind, muͤſſen hier ſowohl, ja noch ſorg- faͤltiger als auf dem Theater, erreget werden. Die Andacht ſetzet ihnen nur hier die Graͤnzen. Ein Componiſt, der in der Kirche nicht ruͤhren kann, wo er eingeſchraͤnkter iſt, wird daſſelbe auf dem Theater, wo er mehrere O o

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/307>, abgerufen am 13.11.2024.