Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver- schwinden wie eine Ahnung. Gib also Acht!
Den 3ten Juni.
Aus der großen Welt wandelte ich gestern wieder einmal in die City, und beobachtete die mühsame Industrie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da- hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie sie en evidence gesetzt werden. Früher begnügte man sich, sie anzuschlagen. Jetzt sind sie ambulant. Ei- ner hat einen Hut von Pappe aufgesetzt, dreimal höher als andre Hüte sind, auf welchem in großen Buchstaben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re- kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art Fahne, auf der ein Waschweib abgebildet ist, und darunter steht: Only one six pence a shirt. (Nur einen Sixpence das Hemde). Kasten, wie die Arche Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der Größe eines kleinen Hauses, mit Menschen oder ei- nem Pferde bespannt, durchziehen langsam die Straßen, und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch- hausen je finden konnte.
Als ich bei H. R... anlangte, war ich sehr müde, und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem Comptoir zu essen. Während dem Essen philosophir- ten wir über Religion. R. est vraiment un tres
Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver- ſchwinden wie eine Ahnung. Gib alſo Acht!
Den 3ten Juni.
Aus der großen Welt wandelte ich geſtern wieder einmal in die City, und beobachtete die mühſame Induſtrie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da- hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie ſie en evidence geſetzt werden. Früher begnügte man ſich, ſie anzuſchlagen. Jetzt ſind ſie ambulant. Ei- ner hat einen Hut von Pappe aufgeſetzt, dreimal höher als andre Hüte ſind, auf welchem in großen Buchſtaben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re- kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art Fahne, auf der ein Waſchweib abgebildet iſt, und darunter ſteht: Only one six pence a shirt. (Nur einen Sixpence das Hemde). Kaſten, wie die Arche Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der Größe eines kleinen Hauſes, mit Menſchen oder ei- nem Pferde beſpannt, durchziehen langſam die Straßen, und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch- hauſen je finden konnte.
Als ich bei H. R… anlangte, war ich ſehr müde, und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem Comptoir zu eſſen. Während dem Eſſen philoſophir- ten wir über Religion. R. est vraiment un très
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0059"n="43"/>
Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver-<lb/>ſchwinden wie eine Ahnung. Gib alſo Acht!</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 3ten Juni.</hi></dateline></opener><lb/><p>Aus der großen Welt wandelte ich geſtern wieder<lb/>
einmal in die City, und beobachtete die mühſame<lb/>
Induſtrie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel<lb/>
liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da-<lb/>
hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie<lb/>ſie <hirendition="#aq">en evidence</hi> geſetzt werden. Früher begnügte man<lb/>ſich, ſie anzuſchlagen. Jetzt ſind ſie ambulant. Ei-<lb/>
ner hat einen Hut von Pappe aufgeſetzt, dreimal<lb/>
höher als andre Hüte ſind, auf welchem in großen<lb/>
Buchſtaben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re-<lb/>
kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art<lb/>
Fahne, auf der ein Waſchweib abgebildet iſt, und<lb/>
darunter ſteht: <hirendition="#aq">Only one six pence a shirt.</hi> (Nur<lb/>
einen Sixpence das Hemde). Kaſten, wie die Arche<lb/>
Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der<lb/>
Größe eines kleinen Hauſes, mit Menſchen oder ei-<lb/>
nem Pferde beſpannt, durchziehen langſam die Straßen,<lb/>
und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch-<lb/>
hauſen je finden konnte.</p><lb/><p>Als ich bei H. R… anlangte, war ich ſehr müde,<lb/>
und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem<lb/>
Comptoir zu eſſen. Während dem Eſſen philoſophir-<lb/>
ten wir über Religion. R. <hirendition="#aq">est vraiment un très<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[43/0059]
Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver-
ſchwinden wie eine Ahnung. Gib alſo Acht!
Den 3ten Juni.
Aus der großen Welt wandelte ich geſtern wieder
einmal in die City, und beobachtete die mühſame
Induſtrie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel
liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da-
hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie
ſie en evidence geſetzt werden. Früher begnügte man
ſich, ſie anzuſchlagen. Jetzt ſind ſie ambulant. Ei-
ner hat einen Hut von Pappe aufgeſetzt, dreimal
höher als andre Hüte ſind, auf welchem in großen
Buchſtaben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re-
kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art
Fahne, auf der ein Waſchweib abgebildet iſt, und
darunter ſteht: Only one six pence a shirt. (Nur
einen Sixpence das Hemde). Kaſten, wie die Arche
Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der
Größe eines kleinen Hauſes, mit Menſchen oder ei-
nem Pferde beſpannt, durchziehen langſam die Straßen,
und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch-
hauſen je finden konnte.
Als ich bei H. R… anlangte, war ich ſehr müde,
und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem
Comptoir zu eſſen. Während dem Eſſen philoſophir-
ten wir über Religion. R. est vraiment un très
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/59>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.