Mit mehrern Damen diesen Morgen spazieren rei- tend, erhob sich die Frage, welchen Weg man neh- men sollte, die herrliche Frühlingsnacht am besten zu genießen. Da sahen wir am hohen Himmel einen Luftballon schweben, und die Frage war beantwor- tet. Mehr als 10 Meilen folgten die unermüdlichen Damen, gleich einer steeple chase, dem luftigen Füh- rer, der aber doch endlich unsern Blicken ganz ent- schwand.
Der Mittag war einem großen diplomatischen Dine gewidmet, wo mehrere der neuen Minister zugegen waren, und der Abend einem Ball in einem deutschen Hause, dessen solide und geschmackvolle Pracht den besten englischen gleichkömmt, und durch die liebens- würdigen Eigenschaften der Wirthe die meisten über- trifft, ich meine beim Fürsten Esterhazy.
Bald aber wird mein Journal den Reiseberichten des weiland Bernouilly gleichen, die auch nur von Einladungen, Mittagsmahlen und Abendunterhal- tungen handeln. Aber Du mußt es nun schon hin- nehmen, wie es sich trifft. Vergleiche dies Tagebuch mit einem Gewande, auf dem sehr verschiedne, rei- chere und ärmlichere Stickereien vorkommen. Der feste dauerhafte Stoff repräsentirt meine immer gleiche Liebe zu Dir und den Wunsch, Dich, so gut es geht, mein fernes Leben mit leben zu lassen; die Sticke- reien aber, die nur Copieen des Erlebten sind, müssen
Den 15ten.
Mit mehrern Damen dieſen Morgen ſpazieren rei- tend, erhob ſich die Frage, welchen Weg man neh- men ſollte, die herrliche Frühlingsnacht am beſten zu genießen. Da ſahen wir am hohen Himmel einen Luftballon ſchweben, und die Frage war beantwor- tet. Mehr als 10 Meilen folgten die unermüdlichen Damen, gleich einer steeple chase, dem luftigen Füh- rer, der aber doch endlich unſern Blicken ganz ent- ſchwand.
Der Mittag war einem großen diplomatiſchen Diné gewidmet, wo mehrere der neuen Miniſter zugegen waren, und der Abend einem Ball in einem deutſchen Hauſe, deſſen ſolide und geſchmackvolle Pracht den beſten engliſchen gleichkömmt, und durch die liebens- würdigen Eigenſchaften der Wirthe die meiſten über- trifft, ich meine beim Fürſten Eſterhazy.
Bald aber wird mein Journal den Reiſeberichten des weiland Bernouilly gleichen, die auch nur von Einladungen, Mittagsmahlen und Abendunterhal- tungen handeln. Aber Du mußt es nun ſchon hin- nehmen, wie es ſich trifft. Vergleiche dies Tagebuch mit einem Gewande, auf dem ſehr verſchiedne, rei- chere und ärmlichere Stickereien vorkommen. Der feſte dauerhafte Stoff repräſentirt meine immer gleiche Liebe zu Dir und den Wunſch, Dich, ſo gut es geht, mein fernes Leben mit leben zu laſſen; die Sticke- reien aber, die nur Copieen des Erlebten ſind, müſſen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0048"n="32"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 15ten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Mit mehrern Damen dieſen Morgen ſpazieren rei-<lb/>
tend, erhob ſich die Frage, welchen Weg man neh-<lb/>
men ſollte, die herrliche Frühlingsnacht am beſten zu<lb/>
genießen. Da ſahen wir am hohen Himmel einen<lb/>
Luftballon ſchweben, und die Frage war beantwor-<lb/>
tet. Mehr als 10 Meilen folgten die unermüdlichen<lb/>
Damen, gleich einer <hirendition="#aq">steeple chase,</hi> dem luftigen Füh-<lb/>
rer, der aber doch endlich unſern Blicken ganz ent-<lb/>ſchwand.</p><lb/><p>Der Mittag war einem großen diplomatiſchen Din<hirendition="#aq">é</hi><lb/>
gewidmet, wo mehrere der neuen Miniſter zugegen<lb/>
waren, und der Abend einem Ball in einem deutſchen<lb/>
Hauſe, deſſen ſolide und geſchmackvolle Pracht den<lb/>
beſten engliſchen gleichkömmt, und durch die liebens-<lb/>
würdigen Eigenſchaften der Wirthe die meiſten über-<lb/>
trifft, ich meine beim Fürſten Eſterhazy.</p><lb/><p>Bald aber wird mein Journal den Reiſeberichten<lb/>
des weiland Bernouilly gleichen, die auch nur von<lb/>
Einladungen, Mittagsmahlen und Abendunterhal-<lb/>
tungen handeln. Aber Du mußt es nun ſchon hin-<lb/>
nehmen, wie es ſich trifft. Vergleiche dies Tagebuch<lb/>
mit einem Gewande, auf dem ſehr verſchiedne, rei-<lb/>
chere und ärmlichere Stickereien vorkommen. Der<lb/>
feſte dauerhafte Stoff repräſentirt meine immer gleiche<lb/>
Liebe zu Dir und den Wunſch, Dich, ſo gut es geht,<lb/>
mein fernes Leben mit leben zu laſſen; die Sticke-<lb/>
reien aber, die nur Copieen des Erlebten ſind, müſſen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[32/0048]
Den 15ten.
Mit mehrern Damen dieſen Morgen ſpazieren rei-
tend, erhob ſich die Frage, welchen Weg man neh-
men ſollte, die herrliche Frühlingsnacht am beſten zu
genießen. Da ſahen wir am hohen Himmel einen
Luftballon ſchweben, und die Frage war beantwor-
tet. Mehr als 10 Meilen folgten die unermüdlichen
Damen, gleich einer steeple chase, dem luftigen Füh-
rer, der aber doch endlich unſern Blicken ganz ent-
ſchwand.
Der Mittag war einem großen diplomatiſchen Diné
gewidmet, wo mehrere der neuen Miniſter zugegen
waren, und der Abend einem Ball in einem deutſchen
Hauſe, deſſen ſolide und geſchmackvolle Pracht den
beſten engliſchen gleichkömmt, und durch die liebens-
würdigen Eigenſchaften der Wirthe die meiſten über-
trifft, ich meine beim Fürſten Eſterhazy.
Bald aber wird mein Journal den Reiſeberichten
des weiland Bernouilly gleichen, die auch nur von
Einladungen, Mittagsmahlen und Abendunterhal-
tungen handeln. Aber Du mußt es nun ſchon hin-
nehmen, wie es ſich trifft. Vergleiche dies Tagebuch
mit einem Gewande, auf dem ſehr verſchiedne, rei-
chere und ärmlichere Stickereien vorkommen. Der
feſte dauerhafte Stoff repräſentirt meine immer gleiche
Liebe zu Dir und den Wunſch, Dich, ſo gut es geht,
mein fernes Leben mit leben zu laſſen; die Sticke-
reien aber, die nur Copieen des Erlebten ſind, müſſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/48>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.