Bei aller Freiheit und Abwesenheit von unnützen Complimenten, existirt daher doch für einen an un- sere Sitten Gewöhnten hier auf die Länge ein be- deutender Zwang, den das fortwährende Sprechen in einer fremden Sprache noch mehr empfinden läßt.
London, den 12ten.
Mit einem aufziehenden Frühlingsgewitter verließ ich diesen Morgen R. Park, athmete unterwegs mit Wonne die duftige Frühlingsluft und schaute mit Entzücken auf das glänzende Grün und die schwel- lenden Knospen, ein Anblick, dessen man nie über- drüssig wird. Das Frühjahr entschädigt die nördli- chen Gegenden für alle Unannehmlichkeiten ihrer Win- ter, denn dieses Aufwachen der jungen Natur ist im Süden doch mit weit geringerer Coquetterie von ih- rer Seite begleitet.
Ich war zum Mittag wieder bei der Herzogin von S. A. auf ihrem Landhause versagt, wo mich eine angenehme Ueberraschung erwartete. Man placirte mich, der zu spät kam, zwischen der Wirthin und ei- nem langen, sehr einfach aber liebevoll und freund- lich aussehenden, schon bejahrten Manne, der im breiten schottischen, nichts weniger als angenehmen Dialekte sprach, und mir ausserdem wahrscheinlich gar nicht aufgefallen wäre, wenn mir nicht nach einigen Minuten bekannt geworden -- daß ich neben dem be-
Bei aller Freiheit und Abweſenheit von unnützen Complimenten, exiſtirt daher doch für einen an un- ſere Sitten Gewöhnten hier auf die Länge ein be- deutender Zwang, den das fortwährende Sprechen in einer fremden Sprache noch mehr empfinden läßt.
London, den 12ten.
Mit einem aufziehenden Frühlingsgewitter verließ ich dieſen Morgen R. Park, athmete unterwegs mit Wonne die duftige Frühlingsluft und ſchaute mit Entzücken auf das glänzende Grün und die ſchwel- lenden Knospen, ein Anblick, deſſen man nie über- drüſſig wird. Das Frühjahr entſchädigt die nördli- chen Gegenden für alle Unannehmlichkeiten ihrer Win- ter, denn dieſes Aufwachen der jungen Natur iſt im Süden doch mit weit geringerer Coquetterie von ih- rer Seite begleitet.
Ich war zum Mittag wieder bei der Herzogin von S. A. auf ihrem Landhauſe verſagt, wo mich eine angenehme Ueberraſchung erwartete. Man placirte mich, der zu ſpät kam, zwiſchen der Wirthin und ei- nem langen, ſehr einfach aber liebevoll und freund- lich ausſehenden, ſchon bejahrten Manne, der im breiten ſchottiſchen, nichts weniger als angenehmen Dialekte ſprach, und mir auſſerdem wahrſcheinlich gar nicht aufgefallen wäre, wenn mir nicht nach einigen Minuten bekannt geworden — daß ich neben dem be-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0370"n="352"/><p>Bei aller Freiheit und Abweſenheit von unnützen<lb/>
Complimenten, exiſtirt daher doch für einen an un-<lb/>ſere Sitten Gewöhnten hier auf die Länge ein be-<lb/>
deutender Zwang, den das fortwährende Sprechen<lb/>
in einer fremden Sprache noch mehr empfinden läßt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">London, den 12ten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Mit einem aufziehenden Frühlingsgewitter verließ<lb/>
ich dieſen Morgen R. Park, athmete unterwegs mit<lb/>
Wonne die duftige Frühlingsluft und ſchaute mit<lb/>
Entzücken auf das glänzende Grün und die ſchwel-<lb/>
lenden Knospen, ein Anblick, deſſen man nie über-<lb/>
drüſſig wird. Das Frühjahr entſchädigt die nördli-<lb/>
chen Gegenden für alle Unannehmlichkeiten ihrer Win-<lb/>
ter, denn dieſes Aufwachen der jungen Natur iſt im<lb/>
Süden doch mit weit geringerer Coquetterie von ih-<lb/>
rer Seite begleitet.</p><lb/><p>Ich war zum Mittag wieder bei der Herzogin von<lb/>
S. A. auf ihrem Landhauſe verſagt, wo mich eine<lb/>
angenehme Ueberraſchung erwartete. Man placirte<lb/>
mich, der zu ſpät kam, zwiſchen der Wirthin und ei-<lb/>
nem langen, ſehr einfach aber liebevoll und freund-<lb/>
lich ausſehenden, ſchon bejahrten Manne, der im<lb/>
breiten ſchottiſchen, nichts weniger als angenehmen<lb/>
Dialekte ſprach, und mir auſſerdem wahrſcheinlich gar<lb/>
nicht aufgefallen wäre, wenn mir nicht nach einigen<lb/>
Minuten bekannt geworden — daß ich neben dem be-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[352/0370]
Bei aller Freiheit und Abweſenheit von unnützen
Complimenten, exiſtirt daher doch für einen an un-
ſere Sitten Gewöhnten hier auf die Länge ein be-
deutender Zwang, den das fortwährende Sprechen
in einer fremden Sprache noch mehr empfinden läßt.
London, den 12ten.
Mit einem aufziehenden Frühlingsgewitter verließ
ich dieſen Morgen R. Park, athmete unterwegs mit
Wonne die duftige Frühlingsluft und ſchaute mit
Entzücken auf das glänzende Grün und die ſchwel-
lenden Knospen, ein Anblick, deſſen man nie über-
drüſſig wird. Das Frühjahr entſchädigt die nördli-
chen Gegenden für alle Unannehmlichkeiten ihrer Win-
ter, denn dieſes Aufwachen der jungen Natur iſt im
Süden doch mit weit geringerer Coquetterie von ih-
rer Seite begleitet.
Ich war zum Mittag wieder bei der Herzogin von
S. A. auf ihrem Landhauſe verſagt, wo mich eine
angenehme Ueberraſchung erwartete. Man placirte
mich, der zu ſpät kam, zwiſchen der Wirthin und ei-
nem langen, ſehr einfach aber liebevoll und freund-
lich ausſehenden, ſchon bejahrten Manne, der im
breiten ſchottiſchen, nichts weniger als angenehmen
Dialekte ſprach, und mir auſſerdem wahrſcheinlich gar
nicht aufgefallen wäre, wenn mir nicht nach einigen
Minuten bekannt geworden — daß ich neben dem be-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/370>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.