Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

über mich selbst -- und als ich mit dem raschen Auf-
hören der Musik im vollen Accorde aus der Träume-
rei wieder wach wurde, liefen mir wahrhaftig die
hellen Thränen über die Backen, so daß ich mich fast
vor den Leuten schämte.



Gut bedient wird man in England, das ist wahr!

Ich war um 6 Uhr bei den Gardeoffizieren einge-
laden, wo sehr pünktlich gegessen wird, und hatte
mich beim Schreiben verspätet. Die Kaserne ist eine
Stunde von meinem Gasthof (der wie gewöhnlich
zugleich Posthaus ist) entfernt. Ich jagte also mei-
nen Diener die Treppe hinunter "für Pferde." In
weniger als einer Minute waren diese schon ange-
spannt, und in 15 war ich, mit Windesschnelle fah-
rend, mit dem Schlage sechs am Tisch.

Das hiesige Militair ist im Ganzen weit gesell-
schaftlicher gebildet, als das unsre, schon aus dem
Grunde, weil es viel reicher ist. Obgleich der Dienst
nichts weniger als vernachlässigt wird, so ist doch
von unserer Pedanterie nicht eine Spur, und ausser
dem Dienst auch nicht der mindeste Unterschied zwi-
schen dem Obristen und dem jüngsten Lieutenant.
Jeder nimmt eben so ungezwungen als in andern
Gesellschaften Theil an der Conversation. Bei Tisch
sind auf dem Lande alle Offiziere in Uniform, in

über mich ſelbſt — und als ich mit dem raſchen Auf-
hören der Muſik im vollen Accorde aus der Träume-
rei wieder wach wurde, liefen mir wahrhaftig die
hellen Thränen über die Backen, ſo daß ich mich faſt
vor den Leuten ſchämte.



Gut bedient wird man in England, das iſt wahr!

Ich war um 6 Uhr bei den Gardeoffizieren einge-
laden, wo ſehr pünktlich gegeſſen wird, und hatte
mich beim Schreiben verſpätet. Die Kaſerne iſt eine
Stunde von meinem Gaſthof (der wie gewöhnlich
zugleich Poſthaus iſt) entfernt. Ich jagte alſo mei-
nen Diener die Treppe hinunter „für Pferde.“ In
weniger als einer Minute waren dieſe ſchon ange-
ſpannt, und in 15 war ich, mit Windesſchnelle fah-
rend, mit dem Schlage ſechs am Tiſch.

Das hieſige Militair iſt im Ganzen weit geſell-
ſchaftlicher gebildet, als das unſre, ſchon aus dem
Grunde, weil es viel reicher iſt. Obgleich der Dienſt
nichts weniger als vernachläſſigt wird, ſo iſt doch
von unſerer Pedanterie nicht eine Spur, und auſſer
dem Dienſt auch nicht der mindeſte Unterſchied zwi-
ſchen dem Obriſten und dem jüngſten Lieutenant.
Jeder nimmt eben ſo ungezwungen als in andern
Geſellſchaften Theil an der Converſation. Bei Tiſch
ſind auf dem Lande alle Offiziere in Uniform, in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0174" n="158"/>
über mich &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014; und als ich mit dem ra&#x017F;chen Auf-<lb/>
hören der Mu&#x017F;ik im vollen Accorde aus der Träume-<lb/>
rei wieder wach wurde, liefen mir wahrhaftig die<lb/>
hellen Thränen über die Backen, &#x017F;o daß ich mich fa&#x017F;t<lb/>
vor den Leuten &#x017F;chämte.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 31&#x017F;ten.</hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Gut bedient wird man in England, das i&#x017F;t wahr!</p><lb/>
          <p>Ich war um 6 Uhr bei den Gardeoffizieren einge-<lb/>
laden, wo &#x017F;ehr pünktlich gege&#x017F;&#x017F;en wird, und hatte<lb/>
mich beim Schreiben ver&#x017F;pätet. Die Ka&#x017F;erne i&#x017F;t eine<lb/>
Stunde von meinem Ga&#x017F;thof (der wie gewöhnlich<lb/>
zugleich Po&#x017F;thaus i&#x017F;t) entfernt. Ich jagte al&#x017F;o mei-<lb/>
nen Diener die Treppe hinunter &#x201E;für Pferde.&#x201C; In<lb/>
weniger als einer Minute waren die&#x017F;e &#x017F;chon ange-<lb/>
&#x017F;pannt, und in 15 war ich, mit Windes&#x017F;chnelle fah-<lb/>
rend, mit dem Schlage &#x017F;echs am Ti&#x017F;ch.</p><lb/>
          <p>Das hie&#x017F;ige Militair i&#x017F;t im Ganzen weit ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaftlicher gebildet, als das un&#x017F;re, &#x017F;chon aus dem<lb/>
Grunde, weil es viel reicher i&#x017F;t. Obgleich der Dien&#x017F;t<lb/>
nichts weniger als vernachlä&#x017F;&#x017F;igt wird, &#x017F;o i&#x017F;t doch<lb/>
von un&#x017F;erer Pedanterie nicht eine Spur, und au&#x017F;&#x017F;er<lb/>
dem Dien&#x017F;t auch nicht der minde&#x017F;te Unter&#x017F;chied zwi-<lb/>
&#x017F;chen dem Obri&#x017F;ten und dem jüng&#x017F;ten Lieutenant.<lb/>
Jeder nimmt eben &#x017F;o ungezwungen als in andern<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften Theil an der Conver&#x017F;ation. Bei Ti&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ind auf dem Lande alle Offiziere in Uniform, in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0174] über mich ſelbſt — und als ich mit dem raſchen Auf- hören der Muſik im vollen Accorde aus der Träume- rei wieder wach wurde, liefen mir wahrhaftig die hellen Thränen über die Backen, ſo daß ich mich faſt vor den Leuten ſchämte. Den 31ſten. Gut bedient wird man in England, das iſt wahr! Ich war um 6 Uhr bei den Gardeoffizieren einge- laden, wo ſehr pünktlich gegeſſen wird, und hatte mich beim Schreiben verſpätet. Die Kaſerne iſt eine Stunde von meinem Gaſthof (der wie gewöhnlich zugleich Poſthaus iſt) entfernt. Ich jagte alſo mei- nen Diener die Treppe hinunter „für Pferde.“ In weniger als einer Minute waren dieſe ſchon ange- ſpannt, und in 15 war ich, mit Windesſchnelle fah- rend, mit dem Schlage ſechs am Tiſch. Das hieſige Militair iſt im Ganzen weit geſell- ſchaftlicher gebildet, als das unſre, ſchon aus dem Grunde, weil es viel reicher iſt. Obgleich der Dienſt nichts weniger als vernachläſſigt wird, ſo iſt doch von unſerer Pedanterie nicht eine Spur, und auſſer dem Dienſt auch nicht der mindeſte Unterſchied zwi- ſchen dem Obriſten und dem jüngſten Lieutenant. Jeder nimmt eben ſo ungezwungen als in andern Geſellſchaften Theil an der Converſation. Bei Tiſch ſind auf dem Lande alle Offiziere in Uniform, in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/174
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/174>, abgerufen am 23.11.2024.