Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Bei hellem Gaslicht, das hier immer einer festlichen
Illumination gleicht, fuhren wir in die Stadt ein,
und da ich mir, nach dem langen Park- und Garten-
leben, auf der Stelle einen Contrast bereiten wollte,
stieg ich am Coventgarden-Theater ab, um die erste
Weihnachtspantomime zu sehen. Dies ist eine sehr
beliebte Schauspielart in England, wo man vorzüg-
lich die Kinder hinführt, und auch ich also gut an
meinem Platze war. Dichter und Dekorateurs wenden
viel Fleiß darauf, jedes Jahr das vergangne mit
größern Wundern zu überbieten. Ehe ich Dir gute
Nacht sage, will ich, in einer rhapsodischen Skizze,
das Spiel noch einmal vor Dir sich begeben lassen.

Beim Aufrollen des Vorhangs füllt ein dichter Ne-
bel die Scene, der sich nur nach und nach verzieht,
welches durch feine Gaze sehr täuschend bewerkstelligt
wird. Man unterscheidet im Dämmerlicht eine länd-
liche Hütte, den Wohnort einer Zauberin, im Hin-
tergrunde einen See, von Gebirgen umgeben, und
einigen Schneegipfeln überragt. Noch ist alles däm-
mernd und undeutlich, da geht die Sonne auf, besiegt
die schweren Morgendünste, und die Hütte mit dem
entfernter liegenden Dorfe erscheinen nun erst in voll-
ster Klarheit. Jetzt entdeckt man auf dem Dache einen
großen Hahn, der mit den Flügeln schlägt, sich brü-
stet und die Sonne mit mehreren sehr natürlichen


Bei hellem Gaslicht, das hier immer einer feſtlichen
Illumination gleicht, fuhren wir in die Stadt ein,
und da ich mir, nach dem langen Park- und Garten-
leben, auf der Stelle einen Contraſt bereiten wollte,
ſtieg ich am Coventgarden-Theater ab, um die erſte
Weihnachtspantomime zu ſehen. Dies iſt eine ſehr
beliebte Schauſpielart in England, wo man vorzüg-
lich die Kinder hinführt, und auch ich alſo gut an
meinem Platze war. Dichter und Dekorateurs wenden
viel Fleiß darauf, jedes Jahr das vergangne mit
größern Wundern zu überbieten. Ehe ich Dir gute
Nacht ſage, will ich, in einer rhapſodiſchen Skizze,
das Spiel noch einmal vor Dir ſich begeben laſſen.

Beim Aufrollen des Vorhangs füllt ein dichter Ne-
bel die Scene, der ſich nur nach und nach verzieht,
welches durch feine Gaze ſehr täuſchend bewerkſtelligt
wird. Man unterſcheidet im Dämmerlicht eine länd-
liche Hütte, den Wohnort einer Zauberin, im Hin-
tergrunde einen See, von Gebirgen umgeben, und
einigen Schneegipfeln überragt. Noch iſt alles däm-
mernd und undeutlich, da geht die Sonne auf, beſiegt
die ſchweren Morgendünſte, und die Hütte mit dem
entfernter liegenden Dorfe erſcheinen nun erſt in voll-
ſter Klarheit. Jetzt entdeckt man auf dem Dache einen
großen Hahn, der mit den Flügeln ſchlägt, ſich brü-
ſtet und die Sonne mit mehreren ſehr natürlichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0350" n="304"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">London, den 13ten.</hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Bei hellem Gaslicht, das hier immer einer fe&#x017F;tlichen<lb/>
Illumination gleicht, fuhren wir in die Stadt ein,<lb/>
und da ich mir, nach dem langen Park- und Garten-<lb/>
leben, auf der Stelle einen Contra&#x017F;t bereiten wollte,<lb/>
&#x017F;tieg ich am Coventgarden-Theater ab, um die er&#x017F;te<lb/>
Weihnachtspantomime zu &#x017F;ehen. Dies i&#x017F;t eine &#x017F;ehr<lb/>
beliebte Schau&#x017F;pielart in England, wo man vorzüg-<lb/>
lich die Kinder hinführt, und auch ich al&#x017F;o gut an<lb/>
meinem Platze war. Dichter und Dekorateurs wenden<lb/>
viel Fleiß darauf, jedes Jahr das vergangne mit<lb/>
größern Wundern zu überbieten. Ehe ich Dir gute<lb/>
Nacht &#x017F;age, will ich, in einer rhap&#x017F;odi&#x017F;chen Skizze,<lb/>
das Spiel noch einmal vor Dir &#x017F;ich begeben la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Beim Aufrollen des Vorhangs füllt ein dichter Ne-<lb/>
bel die Scene, der &#x017F;ich nur nach und nach verzieht,<lb/>
welches durch feine Gaze &#x017F;ehr täu&#x017F;chend bewerk&#x017F;telligt<lb/>
wird. Man unter&#x017F;cheidet im Dämmerlicht eine länd-<lb/>
liche Hütte, den Wohnort einer Zauberin, im Hin-<lb/>
tergrunde einen See, von Gebirgen umgeben, und<lb/>
einigen Schneegipfeln überragt. Noch i&#x017F;t alles däm-<lb/>
mernd und undeutlich, da geht die Sonne auf, be&#x017F;iegt<lb/>
die &#x017F;chweren Morgendün&#x017F;te, und die Hütte mit dem<lb/>
entfernter liegenden Dorfe er&#x017F;cheinen nun er&#x017F;t in voll-<lb/>
&#x017F;ter Klarheit. Jetzt entdeckt man auf dem Dache einen<lb/>
großen Hahn, der mit den Flügeln &#x017F;chlägt, &#x017F;ich brü-<lb/>
&#x017F;tet und die Sonne mit mehreren &#x017F;ehr natürlichen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0350] London, den 13ten. Bei hellem Gaslicht, das hier immer einer feſtlichen Illumination gleicht, fuhren wir in die Stadt ein, und da ich mir, nach dem langen Park- und Garten- leben, auf der Stelle einen Contraſt bereiten wollte, ſtieg ich am Coventgarden-Theater ab, um die erſte Weihnachtspantomime zu ſehen. Dies iſt eine ſehr beliebte Schauſpielart in England, wo man vorzüg- lich die Kinder hinführt, und auch ich alſo gut an meinem Platze war. Dichter und Dekorateurs wenden viel Fleiß darauf, jedes Jahr das vergangne mit größern Wundern zu überbieten. Ehe ich Dir gute Nacht ſage, will ich, in einer rhapſodiſchen Skizze, das Spiel noch einmal vor Dir ſich begeben laſſen. Beim Aufrollen des Vorhangs füllt ein dichter Ne- bel die Scene, der ſich nur nach und nach verzieht, welches durch feine Gaze ſehr täuſchend bewerkſtelligt wird. Man unterſcheidet im Dämmerlicht eine länd- liche Hütte, den Wohnort einer Zauberin, im Hin- tergrunde einen See, von Gebirgen umgeben, und einigen Schneegipfeln überragt. Noch iſt alles däm- mernd und undeutlich, da geht die Sonne auf, beſiegt die ſchweren Morgendünſte, und die Hütte mit dem entfernter liegenden Dorfe erſcheinen nun erſt in voll- ſter Klarheit. Jetzt entdeckt man auf dem Dache einen großen Hahn, der mit den Flügeln ſchlägt, ſich brü- ſtet und die Sonne mit mehreren ſehr natürlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/350
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/350>, abgerufen am 21.11.2024.