Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechs und vierzigster Brief.

Geliebte Freundin!

Gestern Abend sieben Uhr verließ ich Bath, wie-
derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich
allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer,
demohngeachtet hatte sie sich schon wieder einen Lieb-
haber angeschafft, der vor dem Thore, als blinder
Passagier, (aber kein Amor, sondern ächter John
Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er
nicht von der Landwirthschaft sprach, mit gräßlichen
Tagesneuigkeiten, die die Engländer so sehr lieben,
daß ihre Zeitungscolonnen täglich damit angefüllt
sind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm,
Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor
acht Tagen, mit einander schäkernd und sich jagend,
in eine kochende Masse, welche viele Grade heißer als


Sechs und vierzigſter Brief.

Geliebte Freundin!

Geſtern Abend ſieben Uhr verließ ich Bath, wie-
derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich
allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer,
demohngeachtet hatte ſie ſich ſchon wieder einen Lieb-
haber angeſchafft, der vor dem Thore, als blinder
Paſſagier, (aber kein Amor, ſondern ächter John
Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er
nicht von der Landwirthſchaft ſprach, mit gräßlichen
Tagesneuigkeiten, die die Engländer ſo ſehr lieben,
daß ihre Zeitungscolonnen täglich damit angefüllt
ſind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm,
Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor
acht Tagen, mit einander ſchäkernd und ſich jagend,
in eine kochende Maſſe, welche viele Grade heißer als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0308" n="[286]"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Sechs und vierzig&#x017F;ter Brief.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Salisbury, den 27<hi rendition="#sup">&#x017F;ten</hi> December 1828.</hi> </dateline><lb/>
            <salute>Geliebte Freundin!</salute>
          </opener><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern Abend &#x017F;ieben Uhr verließ ich Bath, wie-<lb/>
derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich<lb/>
allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer,<lb/>
demohngeachtet hatte &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;chon wieder einen Lieb-<lb/>
haber ange&#x017F;chafft, der vor dem Thore, als <hi rendition="#g">blinder</hi><lb/>
Pa&#x017F;&#x017F;agier, (aber kein Amor, &#x017F;ondern ächter John<lb/>
Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er<lb/>
nicht von der Landwirth&#x017F;chaft &#x017F;prach, mit gräßlichen<lb/>
Tagesneuigkeiten, die die Engländer &#x017F;o &#x017F;ehr lieben,<lb/>
daß ihre Zeitungscolonnen <choice><sic>ta&#x0307;glich</sic><corr>täglich</corr></choice> damit angefüllt<lb/>
&#x017F;ind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm,<lb/>
Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor<lb/>
acht Tagen, mit einander <choice><sic>&#x017F;cha&#x0307;kernd</sic><corr>&#x017F;chäkernd</corr></choice> und &#x017F;ich jagend,<lb/>
in eine kochende Ma&#x017F;&#x017F;e, welche viele Grade heißer als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[286]/0308] Sechs und vierzigſter Brief. Salisbury, den 27ſten December 1828. Geliebte Freundin! Geſtern Abend ſieben Uhr verließ ich Bath, wie- derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer, demohngeachtet hatte ſie ſich ſchon wieder einen Lieb- haber angeſchafft, der vor dem Thore, als blinder Paſſagier, (aber kein Amor, ſondern ächter John Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er nicht von der Landwirthſchaft ſprach, mit gräßlichen Tagesneuigkeiten, die die Engländer ſo ſehr lieben, daß ihre Zeitungscolonnen täglich damit angefüllt ſind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm, Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor acht Tagen, mit einander ſchäkernd und ſich jagend, in eine kochende Maſſe, welche viele Grade heißer als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/308
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. [286]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/308>, abgerufen am 30.12.2024.