Warum schreibe ich Dir so gern? Gewiß weil ich denke, daß es Dir Freude macht, aus der Ferne von mir zu hören -- aber auch, weil Du nur mich immer verstandest, und Niemand sonst! dies allein wäre hinreichend, mich auf immer an Dich zu fesseln, denn ich lebe mitten in der Welt, doch nur mit Dir -- so einsam als auf einer wüsten Insel. Tausende von andern Geschöpfen wimmeln zwar um mich her -- sprechen kann ich aber nur mit Dir. Versuche ich es mit andern, so bekömmt mir schon die Gewohnheit und Neigung, immer wahr zu seyn, oft theuer zu stehen! oder ich stoße durch etwas anderes an -- denn Lebensklugheit wurde meiner Natur eben so bestimmt und unerreichbar versagt, als es dem Schwane,
Acht und dreißigſter Brief.
Caſhel, den 12ten October 1828.
Theuerſte Freundin!
Warum ſchreibe ich Dir ſo gern? Gewiß weil ich denke, daß es Dir Freude macht, aus der Ferne von mir zu hören — aber auch, weil Du nur mich immer verſtandeſt, und Niemand ſonſt! dies allein wäre hinreichend, mich auf immer an Dich zu feſſeln, denn ich lebe mitten in der Welt, doch nur mit Dir — ſo einſam als auf einer wüſten Inſel. Tauſende von andern Geſchöpfen wimmeln zwar um mich her — ſprechen kann ich aber nur mit Dir. Verſuche ich es mit andern, ſo bekömmt mir ſchon die Gewohnheit und Neigung, immer wahr zu ſeyn, oft theuer zu ſtehen! oder ich ſtoße durch etwas anderes an — denn Lebensklugheit wurde meiner Natur eben ſo beſtimmt und unerreichbar verſagt, als es dem Schwane,
<TEI><text><body><pbfacs="#f0115"n="[93]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Acht und dreißigſter Brief.</hi></head><lb/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Caſhel, den 12<hirendition="#sup">ten</hi> October 1828.</hi></dateline><lb/><salute>Theuerſte Freundin!</salute></opener><lb/><p>Warum ſchreibe ich Dir ſo gern? Gewiß weil ich<lb/>
denke, daß es Dir Freude macht, aus der Ferne von<lb/>
mir zu hören — aber auch, weil <hirendition="#g">Du</hi> nur mich immer<lb/>
verſtandeſt, und Niemand ſonſt! dies allein wäre<lb/>
hinreichend, mich auf immer an Dich zu feſſeln, denn<lb/>
ich lebe mitten in der Welt, doch nur mit Dir —ſo<lb/>
einſam als auf einer wüſten Inſel. Tauſende von<lb/>
andern Geſchöpfen wimmeln zwar um mich her —<lb/>ſprechen kann ich aber nur mit Dir. Verſuche ich es<lb/>
mit andern, ſo bekömmt mir ſchon die Gewohnheit<lb/>
und Neigung, immer wahr zu ſeyn, oft theuer zu<lb/>ſtehen! oder ich ſtoße durch etwas anderes an —<lb/>
denn Lebensklugheit wurde meiner Natur eben ſo<lb/>
beſtimmt und unerreichbar verſagt, als es dem Schwane,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[93]/0115]
Acht und dreißigſter Brief.
Caſhel, den 12ten October 1828.
Theuerſte Freundin!
Warum ſchreibe ich Dir ſo gern? Gewiß weil ich
denke, daß es Dir Freude macht, aus der Ferne von
mir zu hören — aber auch, weil Du nur mich immer
verſtandeſt, und Niemand ſonſt! dies allein wäre
hinreichend, mich auf immer an Dich zu feſſeln, denn
ich lebe mitten in der Welt, doch nur mit Dir — ſo
einſam als auf einer wüſten Inſel. Tauſende von
andern Geſchöpfen wimmeln zwar um mich her —
ſprechen kann ich aber nur mit Dir. Verſuche ich es
mit andern, ſo bekömmt mir ſchon die Gewohnheit
und Neigung, immer wahr zu ſeyn, oft theuer zu
ſtehen! oder ich ſtoße durch etwas anderes an —
denn Lebensklugheit wurde meiner Natur eben ſo
beſtimmt und unerreichbar verſagt, als es dem Schwane,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. [93]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/115>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.