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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Dreißigster Brief.

Liebe und Gute!

Die vergangenen Tage brachte ich mit Schmerzen
und Fieber im Bette zu, heute erst kann ich Deine
Briefe beantworten. Des geistvollen V ... Schrei-
ben hat mir freilich geschmeichelt, obgleich der Enthu-
siasmus, den ihm meine kleinen Schöpfungen einge-
flößt, nur in seiner dichterischen Seele entstanden ist,
die sich mit der Phantasie schon ein Ideal als wirk-
lich
hinmalte, was erst entstehen soll. Verlange
aber meine Rückkunft nicht, bevor sie möglich ist,
und glaube mir: wo man nicht ist, da wird man
gewöhnlich hingewünscht, ist man aber da, so ist man
bald dennoch Vielen zu viel.

Ich ritt heute zum erstenmal wieder aus, um mir
die Messe in Donngbrook nahe bei Dublin zu bese-
hen, welche als eine Art Volksfest betrachtet wird.
Nichts in der That kann nationaler seyn! Die Arm-
seligkeit, der Schmutz und der tobende Lärm waren
überall eben so groß, als die Freude und Lustigkeit,
mit der die wohlfeilsten Vergnügungen genossen wur-


Dreißigſter Brief.

Liebe und Gute!

Die vergangenen Tage brachte ich mit Schmerzen
und Fieber im Bette zu, heute erſt kann ich Deine
Briefe beantworten. Des geiſtvollen V … Schrei-
ben hat mir freilich geſchmeichelt, obgleich der Enthu-
ſiasmus, den ihm meine kleinen Schöpfungen einge-
flößt, nur in ſeiner dichteriſchen Seele entſtanden iſt,
die ſich mit der Phantaſie ſchon ein Ideal als wirk-
lich
hinmalte, was erſt entſtehen ſoll. Verlange
aber meine Rückkunft nicht, bevor ſie möglich iſt,
und glaube mir: wo man nicht iſt, da wird man
gewöhnlich hingewünſcht, iſt man aber da, ſo iſt man
bald dennoch Vielen zu viel.

Ich ritt heute zum erſtenmal wieder aus, um mir
die Meſſe in Donngbrook nahe bei Dublin zu beſe-
hen, welche als eine Art Volksfeſt betrachtet wird.
Nichts in der That kann nationaler ſeyn! Die Arm-
ſeligkeit, der Schmutz und der tobende Lärm waren
überall eben ſo groß, als die Freude und Luſtigkeit,
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[[200]/0224] Dreißigſter Brief. Dublin, den 29ſten Auguſt 1828. Liebe und Gute! Die vergangenen Tage brachte ich mit Schmerzen und Fieber im Bette zu, heute erſt kann ich Deine Briefe beantworten. Des geiſtvollen V … Schrei- ben hat mir freilich geſchmeichelt, obgleich der Enthu- ſiasmus, den ihm meine kleinen Schöpfungen einge- flößt, nur in ſeiner dichteriſchen Seele entſtanden iſt, die ſich mit der Phantaſie ſchon ein Ideal als wirk- lich hinmalte, was erſt entſtehen ſoll. Verlange aber meine Rückkunft nicht, bevor ſie möglich iſt, und glaube mir: wo man nicht iſt, da wird man gewöhnlich hingewünſcht, iſt man aber da, ſo iſt man bald dennoch Vielen zu viel. Ich ritt heute zum erſtenmal wieder aus, um mir die Meſſe in Donngbrook nahe bei Dublin zu beſe- hen, welche als eine Art Volksfeſt betrachtet wird. Nichts in der That kann nationaler ſeyn! Die Arm- ſeligkeit, der Schmutz und der tobende Lärm waren überall eben ſo groß, als die Freude und Luſtigkeit, mit der die wohlfeilſten Vergnügungen genoſſen wur-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. [200]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/224>, abgerufen am 21.11.2024.