Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

So krank und matt ich bin, hat mir doch die Ex-
kursion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten
Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt.
Obgleich die Oberfläche der Insel Anglesea sehr flach
erscheint, so erhebt sie sich doch, am Ufer der irländi-
schen See, in höchst malerischen, abgerissenen Felsen-
wänden, bedeutend hoch aus den stets brandenden
Fluthen. Auf einem solchen, vom Ufer etwas ent-
fernten, einzeln hervorragenden Felsen, steht der
Leuchtthurm. Nicht nur senkrecht, sondern unter sich
zurückweichend, fallen diese, über alle Beschreibung
wilden Gestade, mehrere hundert Fuß tief nach dem
Meere hinab, und sehen aus, als seyen sie durch
Pulver gesprengt, nicht von der Natur so gebildet.
Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Gin-
ster und karmoisinrother Haide, gelangt man bis an
den Rand des Abhangs, dann steigt man auf einer
roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500
Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege
hinab, auf dem man sich, an die Seitennetze anhal-
tend, über den Abgrund, der beide Felsen trennt, so
zu sagen, hinüber schaukelt. Tausende von Seemöven,
die hier zu brüten pflegen, umschwebten uns auf
allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholische Klage
durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erst
kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten
wahrscheinlich das ungestüme Wetter zu ihrer Ein-
übung. Man konnte nichts Graziöseres sehen als


So krank und matt ich bin, hat mir doch die Ex-
kurſion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten
Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt.
Obgleich die Oberfläche der Inſel Angleſea ſehr flach
erſcheint, ſo erhebt ſie ſich doch, am Ufer der irländi-
ſchen See, in höchſt maleriſchen, abgeriſſenen Felſen-
wänden, bedeutend hoch aus den ſtets brandenden
Fluthen. Auf einem ſolchen, vom Ufer etwas ent-
fernten, einzeln hervorragenden Felſen, ſteht der
Leuchtthurm. Nicht nur ſenkrecht, ſondern unter ſich
zurückweichend, fallen dieſe, über alle Beſchreibung
wilden Geſtade, mehrere hundert Fuß tief nach dem
Meere hinab, und ſehen aus, als ſeyen ſie durch
Pulver geſprengt, nicht von der Natur ſo gebildet.
Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Gin-
ſter und karmoiſinrother Haide, gelangt man bis an
den Rand des Abhangs, dann ſteigt man auf einer
roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500
Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege
hinab, auf dem man ſich, an die Seitennetze anhal-
tend, über den Abgrund, der beide Felſen trennt, ſo
zu ſagen, hinüber ſchaukelt. Tauſende von Seemöven,
die hier zu brüten pflegen, umſchwebten uns auf
allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholiſche Klage
durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erſt
kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten
wahrſcheinlich das ungeſtüme Wetter zu ihrer Ein-
übung. Man konnte nichts Graziöſeres ſehen als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0176" n="152"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 10<hi rendition="#sup">ten.</hi></hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>So krank und matt ich bin, hat mir doch die Ex-<lb/>
kur&#x017F;ion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten<lb/>
Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt.<lb/>
Obgleich die Oberfläche der In&#x017F;el Angle&#x017F;ea &#x017F;ehr flach<lb/>
er&#x017F;cheint, &#x017F;o erhebt &#x017F;ie &#x017F;ich doch, am Ufer der <choice><sic>irla&#x0307;ndi</sic><corr>irländi</corr></choice>-<lb/>
&#x017F;chen See, in höch&#x017F;t maleri&#x017F;chen, abgeri&#x017F;&#x017F;enen Fel&#x017F;en-<lb/>
wänden, bedeutend hoch aus den &#x017F;tets brandenden<lb/>
Fluthen. Auf einem &#x017F;olchen, vom Ufer etwas ent-<lb/>
fernten, einzeln hervorragenden Fel&#x017F;en, &#x017F;teht der<lb/>
Leuchtthurm. Nicht nur &#x017F;enkrecht, &#x017F;ondern unter &#x017F;ich<lb/>
zurückweichend, fallen die&#x017F;e, über alle Be&#x017F;chreibung<lb/>
wilden Ge&#x017F;tade, mehrere hundert Fuß tief nach dem<lb/>
Meere hinab, und &#x017F;ehen aus, als &#x017F;eyen &#x017F;ie durch<lb/>
Pulver ge&#x017F;prengt, nicht von der Natur &#x017F;o gebildet.<lb/>
Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Gin-<lb/>
&#x017F;ter und karmoi&#x017F;inrother Haide, gelangt man bis an<lb/>
den Rand des Abhangs, dann &#x017F;teigt man auf einer<lb/>
roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500<lb/>
Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege<lb/>
hinab, auf dem man &#x017F;ich, an die Seitennetze anhal-<lb/>
tend, über den Abgrund, der beide Fel&#x017F;en trennt, &#x017F;o<lb/>
zu &#x017F;agen, hinüber &#x017F;chaukelt. Tau&#x017F;ende von Seemöven,<lb/>
die hier zu brüten pflegen, um&#x017F;chwebten uns auf<lb/>
allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholi&#x017F;che Klage<lb/>
durch den Sturm rufend. Die Jungen waren er&#x017F;t<lb/>
kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich das unge&#x017F;tüme Wetter zu ihrer Ein-<lb/>
übung. Man konnte nichts Graziö&#x017F;eres &#x017F;ehen als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0176] Den 10ten. So krank und matt ich bin, hat mir doch die Ex- kurſion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt. Obgleich die Oberfläche der Inſel Angleſea ſehr flach erſcheint, ſo erhebt ſie ſich doch, am Ufer der irländi- ſchen See, in höchſt maleriſchen, abgeriſſenen Felſen- wänden, bedeutend hoch aus den ſtets brandenden Fluthen. Auf einem ſolchen, vom Ufer etwas ent- fernten, einzeln hervorragenden Felſen, ſteht der Leuchtthurm. Nicht nur ſenkrecht, ſondern unter ſich zurückweichend, fallen dieſe, über alle Beſchreibung wilden Geſtade, mehrere hundert Fuß tief nach dem Meere hinab, und ſehen aus, als ſeyen ſie durch Pulver geſprengt, nicht von der Natur ſo gebildet. Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Gin- ſter und karmoiſinrother Haide, gelangt man bis an den Rand des Abhangs, dann ſteigt man auf einer roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500 Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege hinab, auf dem man ſich, an die Seitennetze anhal- tend, über den Abgrund, der beide Felſen trennt, ſo zu ſagen, hinüber ſchaukelt. Tauſende von Seemöven, die hier zu brüten pflegen, umſchwebten uns auf allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholiſche Klage durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erſt kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten wahrſcheinlich das ungeſtüme Wetter zu ihrer Ein- übung. Man konnte nichts Graziöſeres ſehen als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/176
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/176>, abgerufen am 22.12.2024.