Kaschelernst war in die Stadt gefahren. Der Hauptzweck seiner Fahrt war, Besorgungen und Bestellungen für die Gast¬ wirtschaft zu machen. Da er bei dieser Gelegenheit hauptsäch¬ lich mit Bierbrauern, Cigarren-, Wein- und Likörhändlern zu thun hatte, die bei Geschäftsabschlüssen gern etwas springen lassen, befand er sich bereits am frühen Nachmittage in stark angeheiterter Stimmung. Kaschelernst pflegte sich jedoch nie bis zu voller Besinnungslosigkeit zu betrinken. Auch heute schwankte er zwar bedenklich auf seinen kurzen Beinen, und sein Rattengesicht hatte eine bläuliche Färbung angenommen, aber im übrigen hatte er seine fünf Sinne völlig beisammen, und vor allem war seine Durchtriebenheit nicht im gering¬ sten geschwächt, durch die selige Stimmung.
In solcher Laune machte er sich auf, seinem Geschäfts¬ freunde Sam einen Besuch abzustatten.
Herr Kaschel aus Halbenau war ein gern gesehener Gast in der Getreidehandlung von Samuel Harrassowitz. Wenn er angemeldet wurde, ließ ihn Sam stets ohne weiteres in das kleine Hinterzimmer führen. Der Kretschamwirt pflegte meist wichtige Nachrichten vom Lande zu bringen.
Auch hier wieder bekam Kaschelernst sein Gläschen vor¬ gesetzt. Man sprach von diesem und jenem. Der Kretscham¬ wirt hatte schon mancherlei Interessantes ausgekramt. In seiner Stellung, als Wirt eines vielbesuchten Gasthauses, er¬
III.
Kaſchelernſt war in die Stadt gefahren. Der Hauptzweck ſeiner Fahrt war, Beſorgungen und Beſtellungen für die Gaſt¬ wirtſchaft zu machen. Da er bei dieſer Gelegenheit hauptſäch¬ lich mit Bierbrauern, Cigarren-, Wein- und Likörhändlern zu thun hatte, die bei Geſchäftsabſchlüſſen gern etwas ſpringen laſſen, befand er ſich bereits am frühen Nachmittage in ſtark angeheiterter Stimmung. Kaſchelernſt pflegte ſich jedoch nie bis zu voller Beſinnungsloſigkeit zu betrinken. Auch heute ſchwankte er zwar bedenklich auf ſeinen kurzen Beinen, und ſein Rattengeſicht hatte eine bläuliche Färbung angenommen, aber im übrigen hatte er ſeine fünf Sinne völlig beiſammen, und vor allem war ſeine Durchtriebenheit nicht im gering¬ ſten geſchwächt, durch die ſelige Stimmung.
In ſolcher Laune machte er ſich auf, ſeinem Geſchäfts¬ freunde Sam einen Beſuch abzuſtatten.
Herr Kaſchel aus Halbenau war ein gern geſehener Gaſt in der Getreidehandlung von Samuel Harraſſowitz. Wenn er angemeldet wurde, ließ ihn Sam ſtets ohne weiteres in das kleine Hinterzimmer führen. Der Kretſchamwirt pflegte meiſt wichtige Nachrichten vom Lande zu bringen.
Auch hier wieder bekam Kaſchelernſt ſein Gläschen vor¬ geſetzt. Man ſprach von dieſem und jenem. Der Kretſcham¬ wirt hatte ſchon mancherlei Intereſſantes ausgekramt. In ſeiner Stellung, als Wirt eines vielbeſuchten Gaſthauſes, er¬
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III.
Kaſchelernſt war in die Stadt gefahren. Der Hauptzweck
ſeiner Fahrt war, Beſorgungen und Beſtellungen für die Gaſt¬
wirtſchaft zu machen. Da er bei dieſer Gelegenheit hauptſäch¬
lich mit Bierbrauern, Cigarren-, Wein- und Likörhändlern zu
thun hatte, die bei Geſchäftsabſchlüſſen gern etwas ſpringen
laſſen, befand er ſich bereits am frühen Nachmittage in ſtark
angeheiterter Stimmung. Kaſchelernſt pflegte ſich jedoch nie
bis zu voller Beſinnungsloſigkeit zu betrinken. Auch heute
ſchwankte er zwar bedenklich auf ſeinen kurzen Beinen, und ſein
Rattengeſicht hatte eine bläuliche Färbung angenommen, aber
im übrigen hatte er ſeine fünf Sinne völlig beiſammen,
und vor allem war ſeine Durchtriebenheit nicht im gering¬
ſten geſchwächt, durch die ſelige Stimmung.
In ſolcher Laune machte er ſich auf, ſeinem Geſchäfts¬
freunde Sam einen Beſuch abzuſtatten.
Herr Kaſchel aus Halbenau war ein gern geſehener Gaſt
in der Getreidehandlung von Samuel Harraſſowitz. Wenn er
angemeldet wurde, ließ ihn Sam ſtets ohne weiteres in das
kleine Hinterzimmer führen. Der Kretſchamwirt pflegte meiſt
wichtige Nachrichten vom Lande zu bringen.
Auch hier wieder bekam Kaſchelernſt ſein Gläschen vor¬
geſetzt. Man ſprach von dieſem und jenem. Der Kretſcham¬
wirt hatte ſchon mancherlei Intereſſantes ausgekramt. In
ſeiner Stellung, als Wirt eines vielbeſuchten Gaſthauſes, er¬
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. [201]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/215>, abgerufen am 21.11.2024.
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