Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.Legende. 1822. Ein hoher Tempel ward erbaut Der benedeiten Himmelsbraut, Die aller Welt zu Heil und Lohn Geboren den erlauchten Sohn. Sie mauerten so manches Jahr, Bis Dach und Decke fertig war; Ein Maler kam sodann herbey, Zu bilden eine Schilderey: Auf mächtigem Gerüst er stand, Den frommen Pinsel in der Hand, Lebendig schaffend und genau Das Angesicht der lieben Frau. Doch als er fast am Ende war, Bringt ihm ein falscher Tritt Gefahr, Und vom Gerüste stürzt er jach, Das unter ihm zusammenbrach. Da ruft er an, aus banger Brust, Das Bild, das er vollendet just: Dir wandt' ich all mein Leben zu, O Himmlische, nun rette du! Und sieh! Es faßt es kein Verstand, Die Heil'ge streckt herab die Hand, Und hielt so lang ihn wunderbar, Bis Menschenhülf' erschienen war. v. Platen's Gedichte. 5
Legende. 1822. Ein hoher Tempel ward erbaut Der benedeiten Himmelsbraut, Die aller Welt zu Heil und Lohn Geboren den erlauchten Sohn. Sie mauerten ſo manches Jahr, Bis Dach und Decke fertig war; Ein Maler kam ſodann herbey, Zu bilden eine Schilderey: Auf maͤchtigem Geruͤſt er ſtand, Den frommen Pinſel in der Hand, Lebendig ſchaffend und genau Das Angeſicht der lieben Frau. Doch als er faſt am Ende war, Bringt ihm ein falſcher Tritt Gefahr, Und vom Geruͤſte ſtuͤrzt er jach, Das unter ihm zuſammenbrach. Da ruft er an, aus banger Bruſt, Das Bild, das er vollendet juſt: Dir wandt' ich all mein Leben zu, O Himmliſche, nun rette du! Und ſieh! Es faßt es kein Verſtand, Die Heil'ge ſtreckt herab die Hand, Und hielt ſo lang ihn wunderbar, Bis Menſchenhuͤlf' erſchienen war. v. Platen's Gedichte. 5
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Legende.
1822.
Ein hoher Tempel ward erbaut
Der benedeiten Himmelsbraut,
Die aller Welt zu Heil und Lohn
Geboren den erlauchten Sohn.
Sie mauerten ſo manches Jahr,
Bis Dach und Decke fertig war;
Ein Maler kam ſodann herbey,
Zu bilden eine Schilderey:
Auf maͤchtigem Geruͤſt er ſtand,
Den frommen Pinſel in der Hand,
Lebendig ſchaffend und genau
Das Angeſicht der lieben Frau.
Doch als er faſt am Ende war,
Bringt ihm ein falſcher Tritt Gefahr,
Und vom Geruͤſte ſtuͤrzt er jach,
Das unter ihm zuſammenbrach.
Da ruft er an, aus banger Bruſt,
Das Bild, das er vollendet juſt:
Dir wandt' ich all mein Leben zu,
O Himmliſche, nun rette du!
Und ſieh! Es faßt es kein Verſtand,
Die Heil'ge ſtreckt herab die Hand,
Und hielt ſo lang ihn wunderbar,
Bis Menſchenhuͤlf' erſchienen war.
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