Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.Die Reimschmiede-Kunst etc. 4. Grundsatz. § 22. Der Reim mag so schlecht beschaffen Anmerkung. § 23. Es würden manche von unserer Zunft 1) die Wörter theilen. Zum Exempel auf das Wort Jungfer ist schwerlich ein Reim zu finden: So kann ich den Reim theilen; als: Meine liebe Jungfer, Will sie mir einen Trunk ver- schaffen, den Durst zu stillen, etc. 2) Wir dürfen die Wörter versetzen, um desto eher einen Reim heraus zu schmieden. Z. E. Trompeten und Krombhörner reimen sich nicht: So versetzt man sie etwa also: So blast auf Peten Tromp, (anstatt Trompeten,) Und spielt auf Hörnern-Kromb. Da reimt sichs. 3) Wir mögen nicht so genaue Horcher und leise Hörer seyn, daß eben einerley Buchstaben sich reimen müßten; sondern lassen als gute Rei- me paßiren: Z. E. Creuz, reiz; Leid, Freud; Todes, Brodtes, etc. 4) Hilft dis noch nicht zur Zusammenlötung zweyer Reim-Zeilen: So verstatten wir, ganz andre Sylben als Reime anzusehen, wenn sie nur
Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc. 4. Grundſatz. § 22. Der Reim mag ſo ſchlecht beſchaffen Anmerkung. § 23. Es wuͤrden manche von unſerer Zunft 1) die Woͤrter theilen. Zum Exempel auf das Wort Jungfer iſt ſchwerlich ein Reim zu finden: So kann ich den Reim theilen; als: Meine liebe Jungfer, Will ſie mir einen Trunk ver- ſchaffen, den Durſt zu ſtillen, ꝛc. 2) Wir duͤrfen die Woͤrter verſetzen, um deſto eher einen Reim heraus zu ſchmieden. Z. E. Trompeten und Krombhoͤrner reimen ſich nicht: So verſetzt man ſie etwa alſo: So blaſt auf Peten Tromp, (anſtatt Trompeten,) Und ſpielt auf Hoͤrnern-Kromb. Da reimt ſichs. 3) Wir moͤgen nicht ſo genaue Horcher und leiſe Hoͤrer ſeyn, daß eben einerley Buchſtaben ſich reimen muͤßten; ſondern laſſen als gute Rei- me paßiren: Z. E. Creuz, reiz; Leid, Freud; Todes, Brodtes, ꝛc. 4) Hilft dis noch nicht zur Zuſammenloͤtung zweyer Reim-Zeilen: So verſtatten wir, ganz andre Sylben als Reime anzuſehen, wenn ſie nur
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Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
4. Grundſatz.
§ 22. Der Reim mag ſo ſchlecht beſchaffen
ſeyn wie er will: So thut er doch manch-
mal bey der Reimſchmiede-Kunſt gute Dienſte.
Anmerkung.
§ 23. Es wuͤrden manche von unſerer Zunft
abgeſchroͤcket werden, wenn wir ihnen nicht ſol-
che Freyheit verſtatteten. Daher duͤrfen wir
1) die Woͤrter theilen. Zum Exempel auf
das Wort Jungfer iſt ſchwerlich ein Reim zu
finden: So kann ich den Reim theilen; als:
Meine liebe Jungfer,
Will ſie mir einen Trunk ver-
ſchaffen, den Durſt zu ſtillen, ꝛc.
2) Wir duͤrfen die Woͤrter verſetzen, um
deſto eher einen Reim heraus zu ſchmieden. Z. E.
Trompeten und Krombhoͤrner reimen ſich nicht:
So verſetzt man ſie etwa alſo:
So blaſt auf Peten Tromp,
(anſtatt Trompeten,)
Und ſpielt auf Hoͤrnern-Kromb.
Da reimt ſichs.
3) Wir moͤgen nicht ſo genaue Horcher und
leiſe Hoͤrer ſeyn, daß eben einerley Buchſtaben
ſich reimen muͤßten; ſondern laſſen als gute Rei-
me paßiren: Z. E. Creuz, reiz; Leid, Freud;
Todes, Brodtes, ꝛc.
4) Hilft dis noch nicht zur Zuſammenloͤtung
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Zitationshilfe: | Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/36>, abgerufen am 03.03.2025. |