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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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Leistung berufenen Völkern herrscht Arbeitstheilung; diese fordert
wiederum Assoziation oder die Anknüpfung internationaler
Beziehungen. Allein die Signatur des Natürlichen ist das Maß;
darum ergeben sich auch jetzt gewisse Normen und Stufen. Manche
Züge des geistigen Wesens und dem entsprechend gewisse Gebiete
des menschlichen Strebens tragen an sich selbst den Karakter einer
überall so ziemlich identischen Allgemeinheit oder unterschiedslosen
Gleichheit. Andere dagegen haben den Typus der individuellen
Differenzirung; sie treten daher ordentlicher Weise nur in stark
nationaler Schattirung auf.

Als Beispiel für jenes mag vor Allem die kalttheoretische,
leidenschaftslose Wissenschaft genannt werden. Bei ihr herrscht
der Universalismus vor, der zwar die nationalen Grenzen nicht
verletzt, aber auch nicht weiter zu beachten hat. Hier ist es ge¬
radezu lächerliche und ideelose Unwissenschaftlichkeit, wenn chauvi¬
nistische Empfindlichkeit dem freiesten Geistesverkehr Aller mit
Allen gewaltsam Schlagbäume und Zollschranken zu setzen sucht
oder die gewissermaßen unpersönliche, darum übernationale Wahr¬
heit deßwegen nicht annimmt, weil sie zufällig auf fremdem Boden
gewachsen, d. h. nicht geworden, sondern erstmals ins klare Be¬
wußtsein des Menschengeistes getreten ist. Die Wissenschaft als
solche ist ein Lebenszweig ganz für sich, man möchte sagen über
Raum und Zeit von Natur schon erhaben. Dieß gilt im vollsten
Sinn namentlich von den rein objektiven Disciplinen, die mit dem
Gesammtnamen "Naturwissenschaft" (sammt ihren technischen Ver¬
werthungen) bezeichnet werden mögen.

Wenn nationale Differenzen dennoch hereinspielen (wie es
ja bekannt ist, daß manche Philosophie auch die Wissenschaft für
spezifische Sache des Volksgeists erklärt, indem es sich allerdings
-- als Einschränkung unserer Klassifikation bemerkt -- in der
Wirklichkeit nie um abstrakt-scharfe Grenzen, sondern nur um
ein fließendes Mehr oder Weniger der Momentemischung handeln

III. 36.
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Leiſtung berufenen Völkern herrſcht Arbeitstheilung; dieſe fordert
wiederum Aſſoziation oder die Anknüpfung internationaler
Beziehungen. Allein die Signatur des Natürlichen iſt das Maß;
darum ergeben ſich auch jetzt gewiſſe Normen und Stufen. Manche
Züge des geiſtigen Weſens und dem entſprechend gewiſſe Gebiete
des menſchlichen Strebens tragen an ſich ſelbſt den Karakter einer
überall ſo ziemlich identiſchen Allgemeinheit oder unterſchiedsloſen
Gleichheit. Andere dagegen haben den Typus der individuellen
Differenzirung; ſie treten daher ordentlicher Weiſe nur in ſtark
nationaler Schattirung auf.

Als Beiſpiel für jenes mag vor Allem die kalttheoretiſche,
leidenſchaftsloſe Wiſſenſchaft genannt werden. Bei ihr herrſcht
der Univerſalismus vor, der zwar die nationalen Grenzen nicht
verletzt, aber auch nicht weiter zu beachten hat. Hier iſt es ge¬
radezu lächerliche und ideeloſe Unwiſſenſchaftlichkeit, wenn chauvi¬
niſtiſche Empfindlichkeit dem freieſten Geiſtesverkehr Aller mit
Allen gewaltſam Schlagbäume und Zollſchranken zu ſetzen ſucht
oder die gewiſſermaßen unperſönliche, darum übernationale Wahr¬
heit deßwegen nicht annimmt, weil ſie zufällig auf fremdem Boden
gewachſen, d. h. nicht geworden, ſondern erſtmals ins klare Be¬
wußtſein des Menſchengeiſtes getreten iſt. Die Wiſſenſchaft als
ſolche iſt ein Lebenszweig ganz für ſich, man möchte ſagen über
Raum und Zeit von Natur ſchon erhaben. Dieß gilt im vollſten
Sinn namentlich von den rein objektiven Disciplinen, die mit dem
Geſammtnamen „Naturwiſſenſchaft“ (ſammt ihren techniſchen Ver¬
werthungen) bezeichnet werden mögen.

Wenn nationale Differenzen dennoch hereinſpielen (wie es
ja bekannt iſt, daß manche Philoſophie auch die Wiſſenſchaft für
ſpezifiſche Sache des Volksgeiſts erklärt, indem es ſich allerdings
— als Einſchränkung unſerer Klaſſifikation bemerkt — in der
Wirklichkeit nie um abſtrakt-ſcharfe Grenzen, ſondern nur um
ein fließendes Mehr oder Weniger der Momentemiſchung handeln

III. 36.
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[33/0043] Leiſtung berufenen Völkern herrſcht Arbeitstheilung; dieſe fordert wiederum Aſſoziation oder die Anknüpfung internationaler Beziehungen. Allein die Signatur des Natürlichen iſt das Maß; darum ergeben ſich auch jetzt gewiſſe Normen und Stufen. Manche Züge des geiſtigen Weſens und dem entſprechend gewiſſe Gebiete des menſchlichen Strebens tragen an ſich ſelbſt den Karakter einer überall ſo ziemlich identiſchen Allgemeinheit oder unterſchiedsloſen Gleichheit. Andere dagegen haben den Typus der individuellen Differenzirung; ſie treten daher ordentlicher Weiſe nur in ſtark nationaler Schattirung auf. Als Beiſpiel für jenes mag vor Allem die kalttheoretiſche, leidenſchaftsloſe Wiſſenſchaft genannt werden. Bei ihr herrſcht der Univerſalismus vor, der zwar die nationalen Grenzen nicht verletzt, aber auch nicht weiter zu beachten hat. Hier iſt es ge¬ radezu lächerliche und ideeloſe Unwiſſenſchaftlichkeit, wenn chauvi¬ niſtiſche Empfindlichkeit dem freieſten Geiſtesverkehr Aller mit Allen gewaltſam Schlagbäume und Zollſchranken zu ſetzen ſucht oder die gewiſſermaßen unperſönliche, darum übernationale Wahr¬ heit deßwegen nicht annimmt, weil ſie zufällig auf fremdem Boden gewachſen, d. h. nicht geworden, ſondern erſtmals ins klare Be¬ wußtſein des Menſchengeiſtes getreten iſt. Die Wiſſenſchaft als ſolche iſt ein Lebenszweig ganz für ſich, man möchte ſagen über Raum und Zeit von Natur ſchon erhaben. Dieß gilt im vollſten Sinn namentlich von den rein objektiven Disciplinen, die mit dem Geſammtnamen „Naturwiſſenſchaft“ (ſammt ihren techniſchen Ver¬ werthungen) bezeichnet werden mögen. Wenn nationale Differenzen dennoch hereinſpielen (wie es ja bekannt iſt, daß manche Philoſophie auch die Wiſſenſchaft für ſpezifiſche Sache des Volksgeiſts erklärt, indem es ſich allerdings — als Einſchränkung unſerer Klaſſifikation bemerkt — in der Wirklichkeit nie um abſtrakt-ſcharfe Grenzen, ſondern nur um ein fließendes Mehr oder Weniger der Momentemiſchung handeln III. 36. 3

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/43>, abgerufen am 27.04.2024.