Pfizer, Gustav: Die deutsche Einheit und der Preußenhaß. Stuttgart, 1849.Die Worte des Erzherzogs Johann: "Kein Oestreich, kein Preußen Die Einheit Deutschlands ist seit März 1848 die Losung aller 1
Die Worte des Erzherzogs Johann: „Kein Oeſtreich, kein Preußen Die Einheit Deutſchlands iſt ſeit März 1848 die Loſung aller 1
<TEI> <text> <pb facs="#f0011" n="[1]"/> <body> <div n="1"> <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Worte des Erzherzogs Johann: „Kein Oeſtreich, kein Preußen<lb/> mehr, ſondern ein einiges, ſtarkes Deutſchland!“ dieſe Worte haben in<lb/> Millionen Herzen einen Widerhall gefunden, ſie haben fördernd auf die<lb/> Wahl dieſes Fürſten zum Reichsverweſer gewirkt und ſie ſind ſozuſagen<lb/> die Summe des politiſchen Glaubensbekenntniſſes von Tauſenden geworden.<lb/> Ich würde denjenigen bedauern, der nicht empfände, daß in dieſen Worten<lb/> im Munde eines bejahrten Fürſten, über deſſen Haupt gar manche<lb/> Schickſalswechſel gegangen, ein ſchönes, edles, nationales Gefühl ſich<lb/> kund gibt. Aber ich geſtehe auch, daß ich in dieſen Worten immer nur<lb/> einen frommen Wunſch, eine patriotiſche Phantaſie erkannt habe. Die<lb/> meiſten Chriſten würden wohl in den Wunſch einſtimmen; keine römiſche<lb/> und griechiſche, keine katholiſche und proteſtantiſche Kirche mehr, ſondern<lb/><hi rendition="#g">Eine</hi>, die allgemein chriſtliche Kirche! Aber iſt mit ſolchen Wünſchen<lb/> etwas ausgerichtet? iſt damit ein Ausweg angedeutet, um aus dem Zwie-<lb/> ſpalt herauszukommen, eine Bahn vorgezeichnet, um das traumhaft vor-<lb/> ſchwebende Ziel zu erreichen? Gewiß nicht! Es iſt nicht zu tadeln, wenn<lb/> ein Trinkſpruch ſolche Phantaſien heraufbeſchwört; ſie mögen <hi rendition="#g">im Augen-<lb/> blick</hi> günſtig gewirkt haben auf Millionen von Deutſchen; aber nüch-<lb/> ternen Männern des Gedankens, des Rathes und der That iſt damit<lb/> nicht geholfen.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Einheit</hi> Deutſchlands iſt ſeit März 1848 die Loſung aller<lb/> ehrliebenden Deutſchen geworden, aber man hat mit dieſem Begriff viel-<lb/> fach, abſichtlich oder unabſichtlich Verſteckens geſpielt, man hat ihn im<lb/> verſchiedenſten Sinn genommen und ausgelegt. Das wichtigſte Mißver-<lb/> ſtändniß, der folgenreichſte Differenzpunkt läßt ſich wohl ſo bezeichnen:<lb/> Die Einen ſetzten die <hi rendition="#g">Einheit</hi> Deutſchlands vorzugsweiſe in die <hi rendition="#g">Ganz-<lb/> heit</hi>, die Totalität, die Andern in die <hi rendition="#g">Centraliſirung</hi>, darein,<lb/> daß Deutſchland einen feſten Mittelpunkt, eine einheitliche Leitung, ge-<lb/> tragen von einer ſtarken, Achtung gebietenden Macht, bekomme. Aus<lb/> dieſer verſchiedenen Auffaſſung der Einheit laſſen ſich großentheils die<lb/> <fw place="bottom" type="sig">1</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [[1]/0011]
Die Worte des Erzherzogs Johann: „Kein Oeſtreich, kein Preußen
mehr, ſondern ein einiges, ſtarkes Deutſchland!“ dieſe Worte haben in
Millionen Herzen einen Widerhall gefunden, ſie haben fördernd auf die
Wahl dieſes Fürſten zum Reichsverweſer gewirkt und ſie ſind ſozuſagen
die Summe des politiſchen Glaubensbekenntniſſes von Tauſenden geworden.
Ich würde denjenigen bedauern, der nicht empfände, daß in dieſen Worten
im Munde eines bejahrten Fürſten, über deſſen Haupt gar manche
Schickſalswechſel gegangen, ein ſchönes, edles, nationales Gefühl ſich
kund gibt. Aber ich geſtehe auch, daß ich in dieſen Worten immer nur
einen frommen Wunſch, eine patriotiſche Phantaſie erkannt habe. Die
meiſten Chriſten würden wohl in den Wunſch einſtimmen; keine römiſche
und griechiſche, keine katholiſche und proteſtantiſche Kirche mehr, ſondern
Eine, die allgemein chriſtliche Kirche! Aber iſt mit ſolchen Wünſchen
etwas ausgerichtet? iſt damit ein Ausweg angedeutet, um aus dem Zwie-
ſpalt herauszukommen, eine Bahn vorgezeichnet, um das traumhaft vor-
ſchwebende Ziel zu erreichen? Gewiß nicht! Es iſt nicht zu tadeln, wenn
ein Trinkſpruch ſolche Phantaſien heraufbeſchwört; ſie mögen im Augen-
blick günſtig gewirkt haben auf Millionen von Deutſchen; aber nüch-
ternen Männern des Gedankens, des Rathes und der That iſt damit
nicht geholfen.
Die Einheit Deutſchlands iſt ſeit März 1848 die Loſung aller
ehrliebenden Deutſchen geworden, aber man hat mit dieſem Begriff viel-
fach, abſichtlich oder unabſichtlich Verſteckens geſpielt, man hat ihn im
verſchiedenſten Sinn genommen und ausgelegt. Das wichtigſte Mißver-
ſtändniß, der folgenreichſte Differenzpunkt läßt ſich wohl ſo bezeichnen:
Die Einen ſetzten die Einheit Deutſchlands vorzugsweiſe in die Ganz-
heit, die Totalität, die Andern in die Centraliſirung, darein,
daß Deutſchland einen feſten Mittelpunkt, eine einheitliche Leitung, ge-
tragen von einer ſtarken, Achtung gebietenden Macht, bekomme. Aus
dieſer verſchiedenen Auffaſſung der Einheit laſſen ſich großentheils die
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